Medikamenteninduzierter Kopfschmerz (Kopfschmerzen durch Kopfschmerztabletten)
Wann können Schmerztabletten Kopfschmerzen verursachen?Merkregel: Zur Vermeidung eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes, sollten Kopfschmerzpatienten höchstens an 10 Tagen/Monat und an höchstens 3 Tagen hintereinander Kopfschmerz- und/oder Migränemittel einnehmen. Alle Schmerztabletten, die man zur Behandlung von Kopfschmerzen verwendet, sind geeignet, wenn sie zu häufig verwendet werden einen chronischen medikamenteninduzierten Kopfschmerz auszulösen. Bei neuen Medikamenten dauert es in der Regel etwa ein Jahr nach der Zulassung, bis bekannt wird, dass auch sie medikamenteninduzierte Kopfschmerzen auslösen können. Interessanterweise belegen Studien, dass diese medikamenteninduzierten Kopfschmerzen weit überwiegend bei Menschen auftreten, die zuvor schon an einer Kopfschmerzerkrankung wie Migräne oder Spannungskopfschmerzen gelitten haben. Patienten, die wegen einer rheumatischen Erkrankung regelmäßig Schmerzmittel nehmen, bekommen, wenn sie nicht zuvor schon Kopfschmerzen hatten, deutlich seltener medikamenteninduzierte Kopfschmerzen. (Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, DKMG). Bei wechselnder Einnahme unterschiedlicher Wirkstoffe vermindert sich das Risiko nicht. Dieser Aspekt sollte auch bei der Behandlung von Schmerzen in anderen Körperregionen bei Kopfschmerzpatienten berücksichtigt werden. Oft ist die quasi prophylaktische Einnahme von Schmerzmitteln aus der Angst bei Auftreten von befürchteten Kopfschmerzen nicht fit für den Alltag oder Beruf zu sein, auslösend und aufrechterhaltend für die regelmäßige Einnahme der Schmerzmittel. Perfektionistische und ängstliche Menschen sind daher besonders gefährdet. Die Angst ohne die Schmerzmittel nicht zu funktionieren oder die Schmerzen nicht aushalten zu können ist das wichtigste Hemmnis vor dem notwendigen Entzug. Die beste Behandlung des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes ist die Vorbeugung. Bei der Empfehlung oder Verordnung von Schmerzmitteln oder deren Verkauf sollte auf das Risiko des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes bei Übergebrauch hingewiesen werden. Noch immer ist diese häufige Komplikation der regelmäßigen Schmerzmitteleinnahme nur unzureichend bekannt. Kopfschmerztabletten sind rezeptfrei und in manchen Ländern frei verkäuflich. Kopfschmerztabletten sind die meist verkauften Arzneimittel überhaupt, Paracetamol, Thomapyrin, Voltaren und Aspirin belegen 4 von 5 Plätzen bei den meist verkauften Medikamenten. Die Wahl des Schmerzmittels und die Schwelle bis zur Einnahme bei Schmerzen unterliegen einer gewissen Familientradition, Eltern sind für ihre Kinder auch hier Vorbilder. Über 40% aller Arzneimittel werden ohne ärztliches Rezept in der Apotheke verkauft. Behandelnde Ärzte wissen oft nichts über den Schmerzmittelkonsum, die Beratung über die Risiken ist in vielen Apotheken die Ausnahme, je bekannter das Medikament ist, umso weniger wird der Beipackzettel gelesen. Kopfschmerztabletten sind oft gut wirksam und sinnvoll, leider aber nicht ohne Nebenwirkungen. Eine relativ große Anzahl von Kopfschmerzpatienten entwickelt unter zu häufiger Einnahme von Schmerz- und/oder Migränemitteln einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz. Es handelt sich dabei meist um einen dumpf-drückenden Dauerkopfschmerz. Einzig sinnvolle Therapie ist die Durchführung einer Entgiftung, die nach ca. 10 - 14 Tagen abgeschlossen ist. Zur Vermeidung eines medikamentös chronifizierten oder induzierten Kopfschmerzes (link zur Leitlinie), sollten Kopfschmerzpatienten höchstens an 10 Tagen/Monat und an höchstens 3 Tagen hintereinander Kopfschmerz- und/oder Migränemittel einnehmen. Die möglichen Komplikationen ohne Entzug sind neben den chronischen Kopfschmerzen erhebliche organische Schäden und nicht selten auch eine Depression. Umgekehrt gibt es Hinweise, dass Menschen, die sich unter Stress fühlen, auch unabhängig von der Kopfschmerzhäufigkeit vermehrt frei verkäufliche Schmerzmittel einnehmen, möglicherweise als Selbstbehandlung der Stresssymptome mit dem Risiko der Entwicklung chronischer Kopfschmerzen. Stress and medicine use for headache: does sense of coherence modify the association?, Young adults' medicine use for headache: The combined effect of socioeconomic position and perceived stress, and the contribution of sense of coherence.
Diagnostische Kriterien für medikamenteninduzierten KopfschmerzDiagnostische Kriterien der International Headache Society
2. drückende/beengende (nicht pulsierende) Qualität 3. leichte oder mittlere Intensität B Einnahme von Analgetika an ≥15 Tagen/Monat regelmäßig über
≥3 Monate 2.) ICD 10 Diagnosen: Kopfschmerz bei Analgetikaübergebrauch [F55.2] und [G44.410]
Häufigkeit und RisikenWissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Sumatriptan (und dies gilt wahrscheinlich für alle Triptane in der Migränebehandlung), wenn es regelmäßig eingenommen wird, seinerseits Migräneattacken und medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz induziert und dies wahrscheinlich schneller als normale Schmerzmittel, nicht-steroidale Antirheumatika oder Opioide. (Limmroth V, Kazarawa Z, Fritsche G, Diener H-C (1999). Headache after frequent use of serotonin agonists zolmitriptan and naratriptan. Lancet 353:378-381.). Der Schmerzmittelmissbrauch beginnt oft bereits bei Jugendlichen, nicht selten schon mit 11 oder 12 Jahren. Eine norwegische Studie fand bei 0,8% der Mädchen und 0,2% der Jungen einen täglichen Kopfschmerz durch Medikamentenmissbrauch. Am häufigsten war eine Migräne der Auslöser für den Beginn der täglichen Medikamenteneinnahme. (NEUROLOGY 2006;66:198-201. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie an Jugendlichen in Taiwan. (NEUROLOGY 2006;66:193-197.) Nach einer französischen Untersuchung haben 3% der Bevölkerung tägliche Kopfschmerzen, von diesen nehmen 88% regelmäßig Schmerzmittel. (Pain 2003;102:143-149). Genaue Erhebungen über den medikamentös induzierten Dauerkopfschmerz liegen nicht vor, Schätzungen ergeben Zahlen von 0,3 bis 1,0 %, während von den spezialisierten Kopfschmerzzentren Zahlen bis zu 40 % angegeben werden. Die DKMG geht in Deutschland von zwischen 800.000 und 1,6 Millionen Menschen aus, die unter einem Arzneimittel-Kopfschmerz leiden. Komplikationen und Folgekosten medikamentös induzierter Kopfschmerzen führen zu erheblichen medizinischen und volkswirtschaftlichen Problemen. In einer Metaanalyse, die 29 Studien mit insgesamt 2612 Patienten mit medikamenteninduziertem Dauerkopfschmerz umfasste, zeigte sich, dass Frauen im Verhältnis von 3,5 : 1 überrepräsentiert sind. Patienten, bei denen ursprünglich eine Migräne bestand, beschreiben zum einen einen konstanten dumpf-drückenden, diffusen Kopfschmerz. Patienten mit chronischem Kopfschmerz vom Spannungstyp und posttraumatischem Kopfschmerz können nach klinischen Kriterien nicht zwischen dem ursprünglichen Kopfschmerz und dem medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz unterscheiden. Hier ergibt sich die Unterscheidung erst nach einem Medikamentenentzug. Das Risiko hängt vermutlich weniger an der Kombination, sondern einzig an der regelmäßigen Einnahme. In abnehmender Häufigkeit wurden in einer Studie Paracetamol (47,9%), Ergotamin (45,5%), Acetylsalicylsäure (40%), Koffein (38%), Dihydroergotamin (24%), nicht steroidale Antirheumatika (23%), Codein (10%), Opioide (5%), Sumatriptan (5%) und Benzodiazepine (4%) genommen. 56,4% der Patienten nahmen Kombinationsanalgetika. Diese Zahlen spiegeln aber nicht das Risiko der entsprechenden Arzneimittel, sondern eher das Verschreibungs- oder Einnahmeverhalten. (Evers S, Suhr B, Bauer B, Grotemeyer K-H, Husstedt I-W. A retrospektive long-term analysis of the epidemiology and features of drug-induced headache. J Neurol 1999;246:802-809). Entzugskopfschmerzen sind nach einzelnen Studien aber besonders ausgeprägt bei Entzug von Opioiden und Kombinationsanalgetika. Codein, Opiate, Ergotamin und Dihydroergotamin können neben dem medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz eine Abhängigkeit mit entsprechenden Entzugsymptomen auslösen. Kombinationspräparate sind nach einer Metaanalyse durchaus wirksamere Akutschmerzmittel als Einzelsubstanzen. Auch die Kombination mit Codein oder Opiaten kann sinnvoll sein. Diese Kombination erhöht aber bei regelmäßiger Einnahme das Abhängigkeitsrisiko. (Combination analgesics Bandlier Extra 12/2005). Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 ergab, dass 5,5% der Männer und 10,2% der Frauen in Deutschland mindestens 1-2x wöchentlich ein Schmerzmittel einnehmen. Dieser Personenkreis zählt damit schon zur Risikogruppe für die Entwicklung von schmerzmittelinduzierten Kopfschmerzen. Bei immerhin 1,6% der Männer und 2,2% der Frauen besteht eine tägliche Schmerzmitteleinnahme. (Siehe Tabelle).
Quelle:
Bundes-Gesundheitssurvey 1998 Auch wenn Schmerzmittel nicht primär für die Kopfschmerzen eingenommen werden, besteht dieses Risiko vor allem für Patienten, die schon unter Kopfschmerzen leiden. Beispielsweise berichtet eine Studie über Patienten, die Opiate nach einem chirurgischen Eingriff wegen Colitis ulcerosa überwiegend zur Darmberuhigung einnahmen. Alle Patienten in dieser Studie, die zuvor eine Migräne hatten, entwickelten im Verlauf eines Jahres tägliche Kopfschmerzen unter den Opiaten. (Wilkinson SM, Becker WJ, Heine JA. Opiate use to control bowel motility may induce chronic daily headache in patients with migraine. Headache. 2001;41:303-309). Die regelmäßige Einnahme
von Kopfschmerztabletten ebnet den Weg für eine chronische
Schmerzsymptomatik. Das beweisen auch Langzeitstudien. Individuen,
die eine tägliche oder wöchentliche Einnahme von Schmerzmitteln
angeben, berichten bei einer Nachuntersuchung 11 Jahre später häufig
über chronische Schmerzen. Bei chronischer Migräne war dies am
eindrücklichsten (RR = 13.3, 95% CI: 9.3 to 19.1), weniger deutlich
bei chronischen nichtmigränösen Kopfschmerzen (RR = 6.2, 95% CI: 5.0
to 7.7), und am niedrigsten (mit immerhin mehr als
doppelt so hohem Risiko) bei chronischen Nackenschmerzen (RR = 2.4,
95% CI: 2.0 to 2.8) oder chronischen Rückenschmerzen (RR
= 2.3, 95% CI: 2.0 to 2.8). Bei Patienten mit chronischen Schmerzen
mit Analgetikaabusus war in der selben Studie das RR bei 37.6 (95%
CI: 21.3 to 66.4) für eine chronische Migräne, 14.4 (95%
CI: 10.4 to 19.9) für chronische nicht migränöse Kopfschmerzen,
7.1 für chronische Nackenschmerzen und 6.4 für
Rückenschmerzen. (J.-A. Zwart, G. Dyb, K. Hagen, S. Svebak, and
J. Holmen Analgesic use: A predictor of chronic pain and medication
overuse headache: The Head-HUNT Study Neurology 2003 61: 160-164.
Abstract)
Die auslösenden MedikamentePatienten, die zuvor Ergotamin missbräuchlich einnahmen, tendieren dazu, auch Triptane täglich oder fast täglich einzunehmen. Der Mechanismus der Abhängigkeit scheint hier der selbe zu sein. Es sieht so aus, als würden die ZNS-gängigen Triptane wie Naratriptan und Rizatriptan dieses Phänomen sogar noch schneller hervorrufen als Sumatriptan, für das die Abhängigkeit als erstem Triptan auch zuerst beschrieben (weil zuerst untersucht) wurde. (Gaist D. Use and overuse of sumatriptan. Pharmacoepidemiological studies based on prescription register and interview data. Cephalalgia 1999;19:735-761.) Der Missbrauch und damit die durch Schmerzmittel hervorgerufenen
Kopfschmerzen stellten sich nach einer neueren Untersuchung bei
Triptanen mit 1,7 Jahren am schnellsten ein, bei Ergotaminen nach
2,7 Jahren, bei normalen Schmerzmitteln nach 4,8 Jahren. Dabei waren
bei den Triptanen 18 Einzeldosen pro Monat, bei Ergotaminen 37 und
bei normalen Analgetika durchschnittlich 114 erforderlich. Die
meisten Patienten dieser Studie hatten, wenn sie Ergotamine oder
normale Schmerzmittel missbrauchten, ursprünglich einen
Spannungskopfschmerz, bei Triptanmissbrauch lag meist eine Migräne
zugrunde. Sie entwickelten entsprechend tägliche migräneartige
Kopfschmerzen und eine Zunahme der Migränehäufigkeit.
(V. Limmroth, Z.
Katsarava, G. Fritsche, S. Przywara, and H.-C. Diener, Features of
medication overuse headache following overuse of different acute
headache drugs, Neurology 2002 59: 1011-1014. Patienten, die Mutterkornalkaloide oder Triptane missbrauchen, haben häufig auch kognitive Einschränkungen und sind häufig depressiv verstimmt, wobei dann aber unklar bleibt, ob es sich hier um eine Folge der Medikation oder um eine Fehlverarbeitung im Rahmen der Grunderkrankung handelt. Holländische Untersucher führten bei 12 Migränepatienten mit und 12 Patienten ohne Ergotaminmissbrauch sowie 12 gesunden Kontrollen neuropsychologische Tests durch. Ergotaminmissbrauch war definiert als die Einnahme von Mutterkornalkaloiden an mehr als fünf Tagen/Woche für über sechs Monate. Verwendet wurde die Symptomcheckliste 90, die u.a. Depressivität, Somatisierung, Angst, Schlafstörungen und Zwangsgefühle erfasst. Darüber hinaus wurden Aufmerksamkeit, Informationsverarbeitung, Kurz- und Langzeitgedächtnis und kognitive Flexibilität gemessen. Patienten mit Ergotaminmissbrauch hatten pathologische Werte bei der Symptomcheckliste 90 und waren vermehrt depressiv. Zwischen den Migränepatienten ohne Abusus und normalen Kontrollen bestand kein Unterschied. Patienten, die Ergotamin einnahmen, hatten auch eine verminderte Aufmerksamkeit, eine verlangsamte Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnisstörungen und eine geringere kognitive Flexibilität. Bei 7 der 12 Patienten konnte erfolgreich ein Medikamentenentzug durchgeführt werden, bei 5 der 7 Patienten besserten sich in der Folgezeit auch die zuvor beobachteten neuropsychologischen Defizite. Ergotaminabusus macht nicht nur vermehrt depressiv und beeinträchtigt die Lebensqualität, er produziert auch eindeutig Defizite in Wahrnehmungen und Gedächtnis. Beruhigend ist allerdings die Tatsache, dass es sich hier nicht um Strukturänderungen des Gehirns handelt, da der Löwenanteil dieser Ausfälle nach erfolgreichem Medikamentenentzug reversibel war. (Roon KI, Bakker D, van Poelgeest MIE, van Buchem MA, Ferrari MD, Middelkoop HAM. The influence of ergotamine abuse on psychological and cognitive functioning. Cephalalgia 2000;20:462-469 Abstract) Patienten mit Ergotaminmissbrauch erhalten
oft primär Ergotamin ohne Aussicht auf Wirksamkeit. In einer Gruppe
Ergotaminabhängiger mit dadurch verursachten Kopfschmerzen hatten 27%
(immerhin 168 Patienten) fälschlicherweise von ihrem Hausarzt Ergotaminderivate
zur Behandlung eines Spannungskopfschmerzes (bei dem
sie unwirksam sind) verschrieben bekommen. Das Abhängigkeitsrisiko von Triptanen wird von manchen Autoren ähnlich eingeschätzt wie das Abhängigkeitsrisiko bei Benzodiazepinen. Triptane führen schneller zu medikamenteninduzierten Kopfschmerzen als andere Kopfschmerzmittel. Besonders hoch ist das Risiko in Familien, in denen eine Abhängigkeit von anderen Medikamenten wie Opioiden oder Benzodiazepinen vorbekannt ist. (F. Beau-Salinas et al., Drug dependence associated with triptans and ergot derivatives: a case/non-case study European Journal of Clinical Pharmacology Volume 66, Number 4 (2010), 413-417, DOI: 10.1007/s00228-009-0769-6) Barbiturate oder Opiate erhöhen das Chronifizierungsrisiko bei Patienten mit Migräne erheblich. (Headache Volume 48 Issue 8, Pages 1157 - 1168). Opiate können besonders bei Migränepatienten zu einem Dauerkopfschmerz führen. 28 Patientinnen, die Kodein oder andere Opiate einnahmen, wurden untersucht, um die Darmmotilität nach Kolektomie zu kontrollieren. Anhand eines Fragebogens ermittelten sie, ob in der Vergangenheit Migränebeschwerden vorlagen, ob und wieviel Opiate sie einnahmen und ob sich chronische Kopfschmerzen entwickelten. Vom Patientenkollektiv erfüllten acht Patientinnen die diagnostischen Kriterien der Studie. Zwei Patientinnen mit Migränebeschwerden in der Vergangenheit entwickelten chronische Kopfschmerzen. Sechs weitere, die keine Migräne-Anamnese aufwiesen, entwickelten trotz der täglichen Opiat-Einnahme keine chronischen Kopfschmerzen. Das endgültige Langzeitrisiko von Opiaten ist weiter schlecht untersucht.(Dr. W.J. Becker et al. Headache 2001, 41, 303-309) Auch - und möglicherweise sogar besonders- bei rezeptfrei verkäuflichen Arzneimitteln sollte man den Beipackzettel lesen. Auch die anderen Gefahren von Schmerzmitteln sind den meisten Menschen nicht bewusst. Rezeptfreiheit wird häufig mit Harmlosigkeit verwechselt. Auch jungen Menschen können bereits durch regelmäßige Schmerzmitteleinnahme schwere Nierenschäden erleiden. Dabei ist ein akutes Nierenversagen, eine akute allergische interstitielle Nephritis, eine akute toxische Tubulusnekrose, eine chronisch interstitielle Nephritis (Analgetikanephropathie) und schließlich ein chronisches Nierenversagen mit Dialysepflicht möglich. Beispiel: Eric Jochum und Ulf Janssen: Chronisch-interstitielle Nephritis bei einem 18-Jährigen durch Einnahme eines Mischanalgetikums. (Medizinische Klinik 2006 DOI: 10.1007/s00063-006-1111-z; Kidney International (1978) 13, 79-92; doi:10.1038/ki.1978.11). Überdosierungen von Paracetamol können akut ein Leberversagen mit im schlimmsten Falle tödlichem Ausgang hervorrufen. Zumindest in den USA gilt Paracetamol als der Hauptgrund für akutes Leberversagen. Eine Maximaldosis von Paracetamol ist auch bei einem Erwachsenen bereits mit 6-8 Tabletten a 500mg erreicht. Bei etwa 40% aller Vergiftungen in Deutschland sind Medikamente die Ursache, unter diesen gehören vor allem bei den jüngeren Menschen die Schmerzmittel zu den häufigsten Ursachen. Fast die Hälfte aller Vergiftungen bei Erwachsenen erfolgen in suizidaler Absicht. Leider gehören frei verkäufliche Schmerzmittel dabei zu den gefährlichen Substanzen. Aspirin z.B. ist in manchen Lebenslagen für viele berechtigterweise fast ein Vitamin geworden. Bei Kindern, Allergikern, Asthmatikern und Patienten mit einem empfindlichen Magen kann es jedoch schwerwiegende Komplikationen machen.
TherapieDie Therapie der Wahl ist der Medikamentenentzug. Die typischen Entzugserscheinungen nach der Beendigung der symptomatischen Medikation dauern im Schnitt nur 3,5 Tage, selten länger als eine Woche und umfassen den Entzugskopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Blutdruckregulationsstörungen, Herzklopfen, Schlafstörungen, Unruhe, Angst und Nervosität. Schon nach dieser Zeit, spätestens aber nach 3 Wochen, sind die Schmerzen meist besser als zum Zeitpunkt der regelmäßigen Einnahme von Kopfschmerztabletten. Nur in den ersten 3-7 Tagen ist mit einer Verschlimmerung der Kopfschmerzen zu rechnen. In manchen Fällen kann für diesen Zeitraum eine Krankschreibung sinnvoll sein. Ausreichende Flüssigkeitszufuhr mildert die Entzugssymptome. Nach der ersten Wochen beginnt bereits die Besserung des Kopfschmerzes gegenüber dem Ausgangniveau bei normalen Kopfschmerztabletten. Bei Triptanabhängigkeit kann die Zeit bis zur Besserung der Kopfschmerzen 2-3 Wochen dauern, bei Gebrauch von Opioiden kann es 2-4 Wochen dauern. Vor einer Beurteilung, ob der Kopfschmerz tatsächlich auf den Medikamentenübergebrauch zurückging, sollte man eine Zeit von 4-6 Wochen unter Führung eines Schmerztagebuches abwarten. (British Association for the Study of Headache). Die Erfolgsquote nach 6 Monaten liegt bei etwa 40-90%. Auch im Langzeitverlauf sind, soweit überprüft, die Erfolge einer Entzugsbehandlung auch nach 5 Jahren noch stabil. Die meisten Rückfälle erfolgen im ersten Jahr, wenn dieses überstanden ist, ist die Prognose sehr gut. Als Erfolg ist hier definiert, dass eine Reduktion der Kopfschmerztage um 50% und mehr/Monat erreicht wird. Neben trizyklischen Antidepressiva kann auch Kortison (z. B. Prednison 100 mg über 5 Tage) den Medikamentenentzug erleichtern. Metoclopramid oder Domperidon gegen die Übelkeit erleichtern den Entzug. Eine psychiatrische oder verhaltenstherapeutische Begleitung des Entzugs verbessert die Erfolgsaussichten. Bei Migränepatienten mit sekundärem Medikamenten induziertem Kopfschmerz kann manchmal eine Prophylaxe mit Topiramat den Medikamenten induziertem Kopfschmerz soweit reduzieren, dass dieser verschwindet. Ambulanter Entzug kann dabei genauso erfolgreich sein wie ein stationärer Entzug. Wenn gleichzeitig Benzodiazepine und Opioide gebraucht werden, eine Komorbidität mit anderen chronischen Schmerzen besteht oder eine schwerere psychische Störung vorliegt, sollte der Entzug stationär erfolgen. Gleichzeitig mit oder vor Beginn der Entzugsbehandlung soll die Prophylaxe des zugrunde liegenden primären Kopfschmerzes (Migräne bzw. Kopfschmerz vom Spannungstyp) eingeleitet werden. Zur Vermeidung von Rückfällen nach der Entzugsbehandlung ist eine regelmäßig neurologische und psychologische Nachbetreuung sinnvoll. (Prednisone as initial treatment of analgesic-induced daily headache. Cephalalgia 2000;20:107-11 3; Disability in chronic migraine with medication overuse: Treatment effects through 5 years Cephalalgia May 1, 2010 30:610-614, Abstract In-, patient versus out-patient withdrawal programmes for medication overuse headache: A 2-year randomized trial Cephalalgia August 1, 2011 31:1189-1198Abstract). Nach dem Entzug können wieder bei Bedarf Kopfschmerztabletten eingenommen werden, dies sollte allerdings durch ein Kopfschmerztagebuch kontrolliert werden. Etwa 70% der Patienten sind
nach dem Medikamentenentzug frei von Dauerkopfschmerzen oder leiden
nur noch unter gelegentlichen Migräneattacken; 30% werden
rückfällig. Günstige Voraussetzungen für einen Therapieerfolg sind:• Migräne als primärer Kopfschmerz, • Dauer des täglichen Kopfschmerzes weniger als 5 Jahre, • Isolierte Einnahme von Ergotamin, Dihydroergotamin oder Sumatriptan.
Therapieversager sind am häufigsten bei:• Mangelnde Einsichtsfähigkeit, • Kombination von Analgetika mit Benzodiazepinen, • Dauer der täglichen Kopfschmerzen mehr als 5 Jahre • chronischer Spannungskopfschmerz als primärer Kopfschmerz, • sekundärer Krankheitsgewinn, • mehrfache erfolglose Selbstentzüge, • mangelnde Unterstützung durch die Familie, • nicht abgeschlossene Renten- oder Versicherungsverfahren bei posttraumatischen Kopfschmerzen.
(Nach Göbel, Kiel, T. Graf-Baumann,M.Zenz, G. Haag, H. Baar, K.-H.
Grotemeyer, V. Pfaffenrath, M.-J. Ribbat, H.-C. Diener, Prophylaxe
und Therapie des medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes
Therapieempfehlung der Deutschen Migräne- und
Kopfschmerzgesellschaft Schmerz 1999 - 13:52-57 © Springer-Verlag
1999) In der Kopfschmerzklinik Göteborg in Schweden wurde eine retrospektive Studie an 101 erwachsenen Patienten durchgeführt, bei denen ambulant eine Entzugstherapie durchgeführt worden war. Es handelte sich um 74 Frauen und 27 Männer im Alter zwischen 16 und 72 Jahren. Die minimalen Dosierungen, die pro Tag an Medikamenten eingenommen wurden, betrugen 1-2 g Acetylsalicylsäure, 1-2 g Paracetamol, 60 mg Coffein, 50 mg Codein, 1 mg Ergotamin oder 200 mg Sumatriptan oral. Die mittlere Häufigkeit der Kopfschmerzen betrug 27 Tage/Monat. Drei Monate nach dem Entzug waren 57 Patienten, dies entspricht 56%, deutlich gebessert, d.h. die Tage mit Kopfschmerzen nahmen um mehr als 50% ab. Über die gesamte Population betrachtet hatten 41% der Patienten 1-10 Tage mit Kopfschmerzen, 37% 11-20 Tage und 22% 21-30 Tage. Patienten, bei denen bei der Kontrolluntersuchung immer noch
sehr häufige Kopfschmerzen bestanden, wurden mit Amitriptylin
behandelt. Hierbei kam es dann bei der Hälfte der so behandelten
Patienten nochmals zu einer deutlichen Besserung der
Kopfschmerzhäufigkeit.
(Linton-Dahlöf P, Linde M, Dahlöf C.
Withdrawal therapy improves chronic daily headache associated with
long-term misuse of headache medication: a retrospective study.
Cephalalgia 2000;20:658-662).
DifferentialdiagnoseNicht jeder Dauerkopfschmerz ist durch Medikamente ausgelöst:
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