Trigeminusneuralgie

Als Trigeminusneuralgie bezeichnet man einen wiederkehrenden einseitigen, blitzartig auftretenden sehr starken Gesichtsschmerz, der durch eine pathologische Reizung des Gesichtsnervs (Nervus trigeminus) entsteht.

Allgemeines und Häufigkeit

Die Äste des Nervus trigeminus

Trigeminusneuralgie, fast kein Krankheitsbild wird so häufig zu Unrecht angenommen: Die Prävalenz beträgt 3-13 pro 100.000 der Bevölkerung, das Risiko der Erkrankung nimmt mit dem Alter zu, 70% der Patienten sind bei Beginn älter als 60 Jahre. Die Diagnose wird allerdings beispielsweise von britischen Allgemeinpraktikern bei 27 pro 100.000 Menschen pro Jahr gestellt. Nicht jede Diagnose ist also zutreffend (Hall et al. 2006; Katusic et al 1990).

Die Trigeminusneuralgie ist dabei einfach zu diagnostizieren: Einschießende, wiederholt anfallsweise Sekunden bis 2 Minuten dauernde heftigste Schmerzattacken sehr starker Intensität im Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Trigeminusäste, auslösbar über Triggerzonen oder mechanisch bei Kauen, Sprechen, Essen, etc. mit Schmerzfreiheit zwischen den Attacken.

Ursachen der Trigeminusneuralgie

Trigeminusneuralgie
Bild: Betroffene Äste bei Trigeminusneuralgien.
V1 = Erster Trigeminus-Ast (Nervus ophthalmicus)
V2 = Zweiter Trigeminus-Ast (Nervus maxillaris)
V3 = Dritter Trigeminus-Ast (Nervus mandibularis)

Sie geht meist auf einen pathologischen Gefäß-Nervenkontakt zurück. Der Schmerz ist dabei typischerweise im Bereich des 2. und/oder 3. Trigeminusastes lokalisiert. Nur bei etwa 4- 5% der Patienten ist der 1. Trigeminusast betroffen. Bei 20% der Patienten ist der 2. und 3. Trigeminusast gleichzeitig betroffen. Bei 3% ist der Schmerz beidseitig, was meist auf eine sekundäre (oder andere) Ursache hinweist. Typischerweise treten die Attacke oft am Tag- bis zu hunderte Male auf, dies über Tage, Wochen oder Monate, dann kommt es meist zu einer schmerzfreien Periode von Monaten bis Jahren. Im Laufe der Jahre nimmt die Häufigkeit der Attacken zu, die schmerzfreien Perioden werden kürzer. Selten werden die einzelnen Attacken länger und es bleibt ein dumpfer Hintergrundschmerz dazwischen, was die eindeutige Diagnose erschwert.

Bei 15% der Patienten mit Trigeminusneuralgie findet man eine andere Ursache als den Gefäß/Nervkontakt. Im Gegensatz zu dieser meist erst im höheren Lebensalter auftretenden Form kommt die symptomatische Trigeminusneuralgie bei Patienten unter 40 Jahren, am häufigsten im Rahmen einer Multiplen Sklerose vor. Dort meistens mit im betreffenden Bereich vorhandenen Gefühlsstörungen. Ca. 1% aller Patienten mit Multipler Sklerose (MS) entwickelt eine Trigeminus-Neuralgie. Diese Erkrankung tritt unter MS-Patienten damit häufiger als in der Normalbevölkerung auf. Die Behandlung ist dort prinzipiell ähnlich wie bei der idiopathischen Form.
Noch seltener sind andere strukturelle Läsionen in der Brückenregion Ursache einer Trigeminus-Neuralgie. Dies gilt insbesondere für vestibuläre oder trigeminale Schwannome, Meningeome, Epidermoide oder andere Zysten, auch Hirninfarkte in der Brückenregion, Angiome, arteriovenöse Malformationen. Beschrieben sind auch sonst verschiedenste symptomatische Trigeminusneuralgien, die andere, zumindest teilweise behandelbare Ursachen haben. Letztere Ursachen müssen ausgeschlossen werden, Beispiele einer Literaturserie: Arteriovenöse Malformationen des Frontal- Temporal-, Parietal-, oder Okzipitallappens, Arnold-Chiari- Missbildungen, Aneurysmen der A. carotis interna, A. communicans posterior, oder der A. vertebralis, Hypophysentumore, paraselläre Meningeome auch des Tentorium cerebelli und hohe cervicale Meningeome, Nasopharynxkarzinome (Favier et al. 2007). Alle Patienten mit einer Trigeminusneuralgie sollten deshalb einmalig auch neuroradiologisch untersucht werden. Sehr selten sind familiäre Formen bekannt geworden.

Ursächlich für die Trigeminus-Neuralgie ist in den meisten Fällen eine Kompression der Wurzel des Trigeminusnerven am Austritt aus dem Hirnstamm (in Höhe der Pons = Brücke) durch eine Gefäßschlinge oder ein Blutgefäß. Der Kontakt zwischen Nerv und Gefäß ist dabei meist auf wenige Millimeter beschränkt. Je nach Untersuchungsserie wird dies in 60-90% der Fälle als Ursache angegeben. In der Kernspintomographie (MRT) werden diese Kompressionen der Wurzel des Trigeminusnerven durch ein Gefäß manchmal sichtbar. (Sensitivität = 50-95% und Spezifität 65-100%, falsch positive Befunde bei 7-15%, falsch negative bei 10%) (Siccoli et al. 2006). 3-12% der asymptomatischen Menschen weisen ebenfalls eine solche Kompression auf. (Nurmikko et al. 2001).

Verlauf

Wie der Verlauf ohne Behandlung ist, weiß niemand genau. Die Schmerzen sind meist so schlimm, dass sich Studien ohne Behandlung ethisch verbieten. Nach den Daten, die es gibt, haben 29% der Patienten nur eine Schmerzepisode, 19% haben 2, 24% haben 3, und 28% haben 4-11 Schmerzepisoden. Diese Schmerzepisoden dauern zwischen einem Tag und 4 Jahren, im Median 49 Tage. Bei 65% der Patienten tritt die nächste Schmerzepisode innerhalb von 5 Jahren auf, bei 23% nach mehr als 10 Jahren auf (Katusic et al 1990).

Diagnostische Kriterien

Operationalisierte diagnostische Kriterien der Trigeminusneuralgie (International Headache Society (IHS))
A. Streng einseitige Schmerzattacken im Gesicht und im Stirnbereich von wenigen Sekunden bis zu 2 min Dauer.
B. Der Schmerz erfüllt wenigstens 4 der nachfolgend genannten Charakteristika:
          1. Ausbreitung entsprechend eines oder mehrerer Äste des N. trigeminus,
          2. plötzlicher heftiger, scharfer, oberflächlicher, stechender oder brennender Schmerz,
          3. sehr starke Schmerzintensität,
          4. Auslösung durch alltägliche Vorgänge wie z.B. Essen, Sprechen, Waschen des Gesichts, Reinigung der Zähne (Triggerfaktoren), 
          5. zwischen den Schmerzepisoden komplette Beschwerdefreiheit.
C. Kein neurologisches Defizit.
D. Die Attacken haben bei jedem Patienten ein stets stereotypes Muster.
E. Ausschluss anderer Ursachen des Gesichtsschmerzes durch Anamnese, körperliche Untersuchung und, wenn nötig, weitere Zusatzuntersuchungen.


Differentialdiagnosen

Mögliche Differentialdiagnosen der Trigeminusneuralgie sind unter anderem:

  • Trigeminusneuropathie
  • Gesichtsschmerz zentraler Genese
  • Atypischer Gesichtsschmerz
  • Glossopharyngeusneuralgie
  • Cluster- Kopfschmerz
  • Kiefergelenksyndrom
  • Sjögren-Syndrom
  • Neuralgie des N. laryngeus superior
  • Postzosterische Neuralgie
  • Myofasciales Schmerzsyndrom

Die Glossopharyngeusneuralgie und die Neuralgie des N. laryngeus superior sind selten, sie unterscheiden sich bezüglich der Schmerzlokalisation. Bezüglich des Schmerzcharakters, der Verursachung und der Therapie gibt es sonst keine wesentlichen Unterschiede.

Trigeminusneuralgie oder Atypischer Gesichtsschmerz ?

Trigeminusneuralgie vs. atypischer Gesichtsschmerz
Bild: Trigeminusneuralgie oder atypischer Gesichtsschmerz?
Nach: Dr. Walter Pöllmann, Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, Nicht jeder Gesichtsschmerz ist eine Trigeminusneuralgie.

Therapie der Trigeminusneuralgie

Zunächst sollte immer eine medikamentöse Therapie erfolgen. Bei unzureichendem Erfolg der medikamentösen Therapie und hohem Leidensdruck kommen verschiedene invasive / operative Ansätze in Betracht.

Medikamentöse Therapie

Am häufigsten wirksam und deshalb auch verwendet gegen die TrigeminusneuralgieHäufige Nebenwirkungen (unvollständig)
CarbamazepinMüdigkeit, Hautausschlag, Ataxie, Übelkeit, Kopfschmerz., Leukopenie, Erhöhung von Leberenzymen, Doppelbilder.
PhenytoinBlutbildveränderungen, Zahnfleischwucherung.
BaclofenÜbelkeit, Müdigkeit, Schwindel, Gewöhnung.

Auch zum Einsatz kommen können: Gabapentin, Pregabalin, Clonazepam, Valproat, Mexiletin, Topiramat, Lamotrigin.

Die medikamentöse Therapie sollte immer mit einem Neurologen besprochen werden.

Invasive / Operative Therapie

Eingriffe bei idiopathischer TrigeminusneuralgieVorteileNachteile / Risiken
Glycerolinjektion85% effektiv Keine Kraniotomie Kleiner EingriffMasseterschwäche (Kaumuskulatur) Sensible Störung im Gesicht Häufiger Rezidive
Rhizotomie90% effektiv kleiner Eingriff kurzer KrankenhausaufenthaltMasseterschwäche (Kaumuskulatur) Sensible Störung im Gesicht Corneale Hypesthesie (10% to 15%) (Ulzerationsrisiko)
Mikrovasculäre Decompression der Trigeminus- Wurzel nach Janetta90% effektiv keine Sensibilitätsstörung
 
Großer Eingriff (Kraniotomie) ± 4% kritische postoperative Komplikationen 1% Mortalität langer Krankenhausaufenthalt

Trigeminusneuropathie (atypische Trigeminusneuralgie)

Die Trigeminusneuropathie wird oft missverständlich als „atypische Trigeminusneuralgie“ bezeichnet. Im Gegensatz zur Trigeminusneuralgie ist hier ein Dauerschmerz charakteristisch, der wellenförmig auf- und abschwellen kann und mit einem sensiblen Defizit verbunden ist. In der Anamnese finden sich häufig Gesichtstraumen, wiederholte Interventionen im Bereich der Nasennebenhöhlen nach Caldwell-Luc, Zahnextraktionen oder kieferchirurgische Eingriffe. Insoweit ergeben sich Überschneidungen mit dem atypischen Gesichtsschmerz (siehe oben).

Bisweilen manifestiert sich eine Trigeminusneuropathie auch als Komplikation destruierender neurochirurgischer Operationsverfahren mit Ausbildung einer Hyp- bis Anästhesia dolorosa wie weiter oben bereits erwähnt. Der Schmerz erklärt sich aus partieller Deafferenzierung nozizeptiver Bahnen. Therapie der Wahl ist die Elektrostimulation mit verschiedenen Zugangswegen, beispielsweise die perkutane Sondenimplantation im Ganglion Gasseri nach Steude oder die operative Implantation einer Elektrode über einen subtemporalen Zugang nach Meyerson. Bei entsprechender perkutaner Teststimulation sprechen ca. 50% der Patienten auf diese Methode an, nach Dauerimplantation erzielt man in 70 – 80% einen guten therapeutischen Effekt. (Aus: Therapie und Prophylaxe von Gesichtsneuralgien und chronischen Gesichtsschmerzen anderer Provenienz – Überarbeitete Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft -D. Soyka, V. Pfaffenrath, U. Steude, M. Zenz).