Karl C. Mayer, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse

 

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Migräne: Was passiert im Gehirn?

Inhaltsverzeichnis:
1. Theorien zur Pathogenese
2. Schema
3. Die Rolle des Serotonins

 

Theorien zur Pathogenese

Es bleibt noch vieles unklar bezüglich des Ablaufs bei einer Migräneattacke im Hirn. Sicher ist, dass die Halswirbelsäule nur sekundär und am Rande eine Rolle spielt. Vieles bleibt aber noch - wenn auch teilweise gut nachvollziehbare - Theorie.

Die gegenwärtigen Theorien im Überblick.
Man geht davon aus, dass es im Rahmen der Aura zu elektrophysiologischen Mechanismen im Bereich der Hirnrinde kommt, die auch als "spreading depression" bezeichnet werden, ein Begriff der aus Tierexperimenten stammt. Nach dieser Hypothese sollten die spreading depressions dann zu einer Plasmaextravasation in der harten Hirnhaut führen und diese wiederum zur Erregung von Nozizeptoren und erhöhter Aktivität trigeminaler Neurone im Nucleus caudalis des Hirnstamms und Rückenmarks.

Es wird dabei angenommen, dass es sich bei der Migräne um eine sog. Ionenkanalkrankheit handelt. Bei diesen Krankheiten kommt es zu vorübergehenden Funktionsstörungen von Ionenkanälen, die dann zu vorübergehenden neurologischen Ausfällen führen. Während der Kopfschmerzphase kommt es zu einer leichten Gefäßerweiterung im Bereich der Hirnhäute mit einer entzündlichen Reaktion, die durch den Nervus trigeminus und den Nervus facialis begleitende parasympathische Fasern vermittelt werden. Zusätzlich sind vegetative Zentren des Gehirns in die Attacken einbezogen. 

 

Schema zu Vorstellungen über die Entstehung einer Migräneattacke


Erbliche Veranlagung, hinzukommende Triggerfaktoren (Auslöser)

Einflüsse der Hirnrinde und des Hypothalamus auf den Hirnstamm.
Sicher scheint, dass der Hypothalamus bei den Vorsymptomen wie Gereiztheit usw. ein bis zwei Tage vor Ausbruch eine Rolle spielt. Der Hypothalamus koordiniert wichtige Vorgänge in unserem Körper: den Wach- und Schlafrhythmus, den Blutdruck, die Atmung, die Nahrungsaufnahme, den Fettstoffwechsel, den Wasserhaushalt, die Sexualfunktionen und das Schmerzkontrollsystem. Eine Reizung des Hypothalamus löst eine Verengung der Hirngefäße aus. Durch die Hypothalamusreizung kann auch das Schmerzkontrollsystem gehemmt werden: Schmerzimpulse erreichen dann ungehindert das Zentrum des Hypothalamus, den Thalamus und die Hirnrinde und äußern sich in dem migränetypischen Kopfschmerz.

Aktivierung serotonerger Neurone

Raphe- Kern und Locus ceoruleus

Verstärkte Serotonin- und Noradrenalin Ausschüttung.
Serotonin stimuliert das Brechzentrum und ist für die Aura wie das Erbrechen verantwortlich, es auf die Blutgefäße im Gehirn eine erweiternde Wirkung, Die Gefäßerweiterung ist teilweise für die Schmerzen der Migräne verantwortlich.
 

Gefäßerweiterung und Ausschüttung von Entzündungsmediatoren (Entzündungsvermittlern)
Am Beginn der Migräneattacke wird die betroffene Hirnregion schlechter durchblutet. Dies kann zu Sehstörungen oder vorübergehenden neurologischen Ausfällen führen. Anschließend erweitern sich die Blutgefäße. Diese Gefäßdehnung verursacht dann die migränetypischen Schmerzen.

Abnahme der antinozizeptiven Aktivität.
Das Schmerzkontrollsystem arbeitet weniger
 

Neurogene Entzündungsreaktion
Das Trigeminale System aktiviert den Hypothalamus verursacht dort die Lichtscheu, Geräuschempfindlichkeit. Signale des N. trig. gehen auch in die oberen Teile des Rückenmarks und verursachen hierüber Muskelverspannungen im Nacken. 
 

Aktivierung von Afferenzen des N. Trigeminus.
Seine Fasern enden unter anderem an größeren Blutgefäßen des Gehirns und an den Hirnhäuten. Reizt man diesen Nerv mechanisch, elektrisch oder chemisch, kann es zu einer Freisetzung von Entzündungsbotenstoffen kommen. Die Meldungen der bereits durch andere Transmitter erweiterten Gefäße werden hier verstärkt, es kommt zu einer zusätzlichen Erweiterung. Der N. trig. bewirkt nicht nur eine Erweiterung der arteriellen Gefäße, sondern erhöht auch deren Wanddurchlässigkeit. Blutplasma kann dann in die Umgebung austreten. Es kommt zu einer Aufschwemmung und einer Entzündung des Hirngewebes. Er bewirkt auch über eine Freisetzung vasoaktiver Substanzen wie Substanz P eine Aktivierung von Prostaglandinen und die  Degranulation von Mastzellen. Auch die trägt zur Entzündungsreaktion bei. Es werden auch wieder Signale zurück zum Thalamus und zur Hirnrinde, gesandt die wesentlich für die Schmerzempfinung sind.

Migräneattacke




 

Die Rolle des Serotonins

Die Ergebnisse bildgebender Verfahren lassen vermuten, dass die bei der Migräneattacke wichtigen Modulationen des trigeminovaskulären noziceptiven Inputs vom dorsalen Raphe Kern, dem Locus ceruleus, und dem Nukleus Raphe Magnus kommen. Die Rolle des Serotonins bei der Migräne scheint komplex zu sein, entsprechend widersprüchlich sind die diesbezüglichen Untersuchungen zu Teil.

Viele Migränemedikamente aktivieren die Serotoninrezeptoren. Einige Studien lassen vermuten, dass der Serotoninspiegel während der Migräneattacke im Blut ansteigt, andere kommen zum gegenteiligen Ergebnis. Einige Medikamente verstärken die Aktivierung der Serotoninrezeptoren, andere funktionieren als Rezeptorantagonisten. Trotzdem funktionieren beide Arten von Medikamenten gegen den Migränekopfschmerz.

Der Widerspruch löst sich auf, wenn man von den beiden unterschiedlichen Serotoninpools im Körper ausgeht. Einmal dem peripheren Serotonin das man im Blut messen kann und von dem man glaubt, dass es einen hemmenden Effekt auf den Raphe- Kern hat (Nukleus dorsalis raphe). Andererseits vom Zentral- Nerven- System- Serotonin, das die Blutgefäße aktiviert und so den Trigeminuskern stimuliert, was wiederum zu Kopfschmerzen führen kann. Beide Modelle bezüglich Serotonin und Kopfschmerz gehen also davon aus, dass der periphere Serotoninspiegel möglichst hoch gehalten werden soll (Hemmung des Weges über den  Raphe- Kern) und der Zentral- Nerven- System- Serotoninspiegel niedrig gehalten werden soll. Der angenommene Wirkmechanismus ist so für alle Migränemedikamente mit der Theorie vereinbar.

Die meisten Medikamente wirken dabei überwiegend über den peripheren Mechanismus. Vorbeugende Medikamente, Biofeedback und  Muskelrelaxation wirken als Serotoninantagonisten am Zentral- Nerven- System- Serotoninrezeptor. Es ist unklar, ob es bei der Migräne primär zu einer Hemmung der Hirnaktivität und dann zu einer Minderung der Hirndurchblutung kommt oder umgekehrt.

Der Freisetzung von vasoaktiven Peptiden wie Calcitonin- Gene- Related- Peptide (CGRP), Substanz P (SP) oder Neurokinin A (NKA) wird ebenfalls eine Schlüsselrolle in der Pathogenese des Migränekopfschmerzes zugeschrieben. Die Frage, ob die Freisetzung dieser Peptide auch im intrazerebralen venösen Kreislauf stattfindet, ist bislang jedoch nicht untersucht. Ein anderes s.g. "Keymolecule" in der Pathogenese des Migränekopfschmerzes ist offensichtlich NO (Stickstoffmonoxid). Ergebnisse mehrerer Studien deuten auf eine mögliche Interaktion zwischen CGRP und NO, die genauen Mechanismen sind jedoch nach wie vor unklar.

Siehe auch:
Marcus DA. Serotonin and its role in headache pathogenesis and treatment. Clin J Pain. 1993;9:159-167.
Alastair, J,J Wood  et al Migraine current understanding and  treatment,  N Engl J Med, Vol. 346, No. 4 January 24, 2002, www.nejm.org 257ff

 

Anschrift des Verfassers (Praxisadresse): Karl C. Mayer - Bergheimerstraße 56a - 69115 Heidelberg
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