Zervikale Myelopathie

Rückenmarksschaden durch Halswirbelabnutzung und andere Ursachen.

Dass bei Wirbelsäulenleiden das Rückenmark geschädigt, ist nur im Bereich der Hals und Brustwirbelsäule möglich. Wenn es passiert wird es oft erst spät diagnostiziert.

Die Halswirbelsäule erlaubt uns normalerweise einen großen Bewegungsspielraum für den Kopf.  Sie besteht aus 7 Wirbeln, die aufeinander stehen, spinalen Ligamenten, und dem zervikalen Segmenten des Rückenmarks aus dem die Vorder- und Hinterwurzeln für die Spinalnerven entspringen, die dann durch die Foramina intervertebralia den Wirbelkanal, in dem sich das Rückenmark befindet,  verlassen.  Der erste Halswirbel, der Atlas und der zweite Halswirbel die Axis unterscheiden sich anatomisch von den anderen Wirbeln und ermöglichen so eine besonders große Beweglichkeit für die Beugung und Streckung. Im Alter von 30 Jahren haben fast allen Menschen zumindest mikroskopische Abnutzungserscheinungen der Halswirbelsäule, mit 40 sind diese bei fast allen Menschen im Röntgenbild feststellbar. (Radiology 1987;164(1):83-8). Obwohl vielfältig angeschuldigt, sind diese normalen Veränderungen meist harmloser Natur. Die zervikale Myelopathie muss von den weniger beeinträchtigenden Syndromen der zervikalen Radikulopathie also der Schädigung von Nervenwurzeln die bereits das Rückenmark verlassen haben unterschieden werden. Gemeint sind auch nicht einfache Nackenschmerzen bei Verspannungen oder Spondylose ohne Rückenmarkskompression.  Eine Spondylose oder eine Nervenwurzelkompression im Halswirbelsäulenbereich schreiten nur sehr selten zu einer zervikalen Myelopathie fort. Wenn dies so ist, wird oft nicht daran gedacht, danach zu suchen. Dies liegt daran, dass die Beschwerden seitens der Myelopahtie sich zunächst in den Beinen mit einer spastischen oder ataktischen Gangstörung, Störungen der Tiefensensibilität (meist Verlust des Temperatur- und Schmerzempfindens als erstes Symptom) oder selten spät im Verlauf mit Blasenstörungen bemerkbar machen. Sensibilitätsstörungen sind dabei an den Beinen fast immer vorhanden, wenn sie fehlen sollte man bezüglich der Diagnose skeptisch sein. (siehe Holger Paschen)

Zervikale Myleopathien sind nicht ganz seltene Ursachen für erhebliche Behinderungen besonders im Alter. Dort sich meist Abnutzungserscheinungen sog. Spondylosen bei anlagebedingt engem Spinalkanal die Ursache. Sie kommen aber auch bei jüngeren Menschen vor, besonders wenn der Wirbelkanal von Geburt an eng ist und ein Bandscheibenschaden dazukommt.

Zervikale Myelopathie

Die zervikale Myelopathie ist eine chronische leider nicht selten in ihren Auswirkungen schwere Erkrankung. Früher wurde die Diagnose durch die Zusammenschau von Röntgen HWS, Myelographie, Computertomographie (CT), und CT- Myelographie gestellt. Inzwischen ist neben dem klinischen Befund die Kernspintomographie entscheidend geworden. Die Kernspintomographie zeigt nicht nur die eigentliche Kompression des Rückenmarks, sie zeigt auch ob dort  (im Rückenmark) tatsächlich Schäden vorhanden sind. Letztere lassen sich dann als intramedulläre Signalanhebungen auch noch genauer quantifizieren. Das Kernspintomogramm erlaubt dabei auch vorsichtige Aussagen über die Operationsprognose. (18)  Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Kernspinbilder und CT- Bilder bezüglich des Ausmaßes der Einengung des Rückenmarkskanals schwer zu beurteilen sind. Die Einschätzung verschiedener Neuroradiologen kann dabei bezüglich Ausmaß und Ursache erheblich variieren.20 Ob eine intramedulläre Signalanhebungen vorhanden ist oder nicht, ist allerdings einfach und sicher beurteilbar. Mit entscheidend für das therapeutische Vorgehen ist der klinische neurologische Befund.  Die zervikale Myelopathie, beginnt häufig mit einer Paraspastik der Beine, Sensibilitätsstörungen oder motorische Ausfälle der Arme treten wenn überhaupt später auf. Eine Schwäche und Steifigkeit in den Beinen, Nackenschmerzen, Schulter- Armschmerzen, in Verbindung mit einer Gangunsicherheit sollten immer ein Grund sein an dieses Krankheitsbild zu denken. Bei den Gefühlsstörungen an den Armen sollte von Anamnese, und Befund ein Karpaltunnelsyndrom als Ursache ausgeschlossen sein. An den Armen kann beispielsweise bei einer Schädigung in Höhe von C5/C6 die Bizepsmuskulatur schlaff gelähmt sein, während die Trizepsmuskulatur durch eine spastische Lähmung schon geschwächt ist. Je nach Art der Schädigung – peripher oder zentral- können an den Armen die Reflexe entsprechend abgeschwächt  oder gesteigert sein. Besonders durch die Gangstörung entstehen erhebliche Behinderungen. Wenn sich dann bei der neurologischen Untersuchung eine Steigerung der Reflexe an den Beinen und eine Störung der Tiefensensibilität findet, wird der Verdacht weiter erhärtet. Oft findet sich auch ein sog. Lhermitte’sches Zeichen (Eine Art Elektrisieren den Rücken hinunter beim nach vorne Beugen des Kopfes. Manchmal sind auch Lähmungen mit Muskelschund an den Armen vorhanden. Diese dann meistens nicht als Folge des Drucks auf das Rückenmark sondern durch Schädigung der Nervenwurzeln(3) die in Höhe der Enge den Wirbelkanal verlassen.

Trotz des Entstehens einer starken Behinderung kommt es aber nicht zu einer vollständigen Querschnittslähmung. Manche Patienten können aber Rollstuhlpflichtig werden. Ein seltenes irritierendes Symptom können unwillkürliche schmerzhafte Arm- und Fingerbewegungen sein. Dieses Symptom tritt in der Regel erst nach Beginn einer Schmerzsymptomatik auf und wird auch bei anderen Schädigungen peripherer Nerven oder des Plexus beobachtet. Diese Bewegungsstörung kann schwierig von einer zentral ausgelösten Bewegungsstörung unterscheidbar sein.  Manchmal hören diese Fingerbewegungen im Schlaf auf. Man nimmt an, dass eine Kompression der afferenten Fasern der hinteren Nervenwurzel oder des Rückenmarkes ständige Impulse sendet, die die unwillkürlichen und unkoordinierten Bewegungen auslöst. Die Bewegungsstörung endet nach erfolgreicher operativer Dekompression, spricht aber manchmal auch auf eine konservative Behandlung an.

Die Diagnose einer zervikalen Myelopathie setzt einen entsprechenden klinischen Befund der auf die Rückenmarksschädigung hinweist und einen entsprechenden dazu passenden radiologischen Befund voraus. Fehldiagnosen kommen in beide Richtungen vor. Auch andere Krankheitsbilder können ähnliche Symptome verursachen.  Neuroradiology 1990;32:450-455. Die vertebragene zervikale Myelopathie liegt nur dann vor, wenn an den Beinen Symptome einer Halsmarkstörung bestehen.

Myelopathie im Kernspintomogramm
Spinalkanalstenose Schema

Differentialdiagnosen

Was man mit einer zervikalen Myelopathie verwechseln kann, was ausgeschlossen werden muss:

  • Amyotrophe Lateral- Sklerose (ALS)
  • metastatsierender Tumor
  • Tumore des Rückenmarks
  • Erbliche spastische Paraplegie
  • Multiple Slerose
  • Normaldruck Hydrocephalus
  • Rückenmarksinfarkt
  • Syringomyelie
  • Vitamin B12 Mangel

Diagnostische Kriterien und Symptome einer (zervikalen) Myelopathie

Diagnostische Kriterien:

  1. Charakteristische Symptome (Seifigkeit in den Beinen, Schwäche in den Handmuskeln)
  2. Charakteristische klinische Befunde (Hyperreflexie, Atrophie von Arm oder Handmuskeln)
  3. Kernspin oder CT (mit Darstellung einer Spinalkanalstenose, Kompression des Rückenmarks durch Osteophyten, Bandscheibenvorfall, Ligament- Hypertrophie)

Myelopathie vs. Amyotrophe Lateral- Sklerose (ALS)

MerkmalMyelopathieALS
AlterÄlter als 55Älter als 55
KernspinbefundSpondylosen,
Einengungen des Spinalkanals
Signalveränderungen des Rückenmarks
Degenerative
Wirbelsäulenveränderungen,
Spondylosen (da sie jeder hat)
FaszikulationenFehlenVorhanden
Atrophien an den ArmenVorhandenVorhanden
Atrophien an den BeinenFehlenVorhanden
DenervationenFehlenVorhanden

 

Die Symptome der zervikalen Myelopathie sind Ausdruck einer Druckschädigung verschiedener Bahnen des Rückenmarkes und der Nervenwurzeln

  • Hinterstränge (afferente Ataxie, Koordinationsstörungen der Beine, sensible Störungen an den Beinen)
  • Vorderhörner und Vorderwurzeln (Muskelatrophie und Störungen der Feinmotorik der Hände)
  • Hinterwurzeln (sensible Störungen, Schmerzen, Mißempfindungen überwiegend an den Armen und Händen) des Zervikalmarkes.
  • Vorderseitenstränge (Paraspastik der Beine, Blasen- und Darmstörungen, Störung der Feinmotorik der Hände)

Diagnostik und Therapie

Da im Alter fast jeder Patient Spondylosen und andere degenerative Veränderungen der Wirbelsäule hat, ist es hier besonders wichtig die Vorgeschichte und den neurologischen Befund zu berücksichtigen. Der klinische Befund ist ausschlaggebend für die Behandlung, und ganz wesentlich für die Diagnose. Normale Röntgenbilder der HWS können gewisse Anhaltspunkte geben. Entscheidend ist hier die Kernspintomographie. Bei dieser Untersuchung kann am besten der Grad der Einengung beurteilt werden. Zusätzlich zeigen sich nur hier die typischen Zeichen mit aufgebrauchtem Liquorraum (kein Platz mehr für Nervenwasser neben dem Rückenmark) und Schädigungen im Rückenmark. Da im CT der Knochen teilweise besser beurteilt werden kann, ist dieses manchmal zusätzlich indiziert. Ganz selten auch heute noch eine Myelographie. Elektrophysiologisch ist eher ein SSEP als ein EMG indiziert. Auch dieses ist allerdings unspezifisch, kann aber den Rückenmarksschaden zeigen. Das Arm MEP gilt als sensitivstes EP zum Nachweise einer Myelopathie bei Patienten mit chronischer Myelopathie. Das Medianus- und Tibialis SSEP korreliert gut mit dem Schweregrad der Myelopathie, ein normales Medianus- SSEP gilt als relativ zuverlässiger Hinweise für eine gute Operationsprognose. Lyu et. al.2004;75:256-261

Wann operiert werden soll, kann im Einzelfall strittig sein. Die Verlaufsbeobachtung des neurologischen Befundes ist hier entscheidend. Gut fundierte Leitlinien hierzu gibt es bisher nicht, da es zu wenig gute Langzeitstudien gibt. Allerdings ist gerade in Fällen mit ausgeprägteren fortschreitenden neurologischen Symptomen eine chirurgische Dekompression sicher indiziert. Bei dieser Chirurgischen Behandlung geht es darum für das Rückenmark wieder ausreichend Platz zu schaffen. Früher wurde von hinten operiert. Die Ergebnisse waren wegen der entstehenden Instabilität schlecht. Deshalb erfolgt heute der Zugang des Operateurs meist von vorne. Dabei können die Knochenanbauten direkt entfernt werden und durch eingebrachtes Knochenersatzmaterial werden die Wirbel quasi zusammengebacken und die Wirbelsäule wird stabilisiert.  Die Aussichten der Operation hängen wesentlich von den bereits bestehenden neurologischen Ausfällen ab. Leider bilden diese sich höchstens in 50% der Fälle wieder zumindest teilweise zurück. Auch nach dem Eingriff kann es bei gutem Ergebnis nach den Kernspinbildern noch zu einer Verschlechterung im Laufe des ersten halben Jahres kommen. In einer prospektiven Studie (1) wurden daher 48 Patienten mit geringer bis mäßiger zervikaler Myelopathie randomisiert entweder operiert oder konservativ behandelt und zwei Jahre lang nachbeobachtet. Es wurde überwiegend eine anteriore Dekompression mit oder ohne Knochenspan durchgeführt. Die konservative Therapie beinhaltete temporäre Immobilisation der HWS mit Halskrause, Antiphlogistika, zeitweise Bettruhe und das Verbot von möglicherweise riskanten Aktivitäten, Der Therapieerfolg wurde anhand mehrerer Parameter beurteilt: einem neurologischen Funktions-Score, Videoaufnahmen von Alltagsaktivitäten, der Gehgeschwindigkeit und einer Selbstbeurteilung durch die Patienten. Nach zwei Jahren bestanden keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Summe aller getesteten Parameter zwischen den beiden Therapiegruppen. Die konservativ behandelten Patienten schnitten nach 24 Monaten bei der Videobeurteilung der täglichen Aktivitäten und in der Selbstbeurteilung etwas besser ab, da bei den operativ Behandelten im Laufe der Zeit Verschlechterungen eingetreten waren. FAZIT: Bei einer lange bestehenden, nur sehr langsam progredienten zervikalen Myelopathie mit leichten bis mäßigen Symptomen spricht nichts für ein operatives Vorgehen. Unter konservativer Behandlung sollen sich etwa 30-50% der Patienten stabilisieren. Studien die eindeutig einen vorderen oder hinteren Zugang zur Dekompression, Expansion des Spinalkanals oder Stabilisierung der Wirbelsäule favorisieren fehlen ebenso wie ausreichende Zahlen zur Beurteilung des Langzeiterfolges von operativen Behandlungen im Allgemeinen.  Von dorsal wird meist operiert wenn überwiegend ein großer Bandscheibenvorfall schuld an der Kompression des Rückenmarks ist. Bei medianen Bandscheibenvorfällen gleichzeitigen knöchern degenerativen Veränderungen wird meist von vorne operiert, dabei wir meist entweder ein Knochenspan aus dem Becken oder Cage zur Stabilisierung und Versteifung 2er Wirbel eingesetzt. Bei einer neurologischen Verschlechterung, die z.B. schon durch ein Bagatelltrauma ausgelöst werden kann, muss eine chirurgische Rückenmarks-Dekompression und eventuelle Wirbelkörperstabilisierung diskutiert werden. Die neurologischen Ausfällen müssen sorgfältig beobachtet werden und sind entscheidende Grundlage eine Entscheidung zu treffen. Operative Verfahren bringen bei akuter klinischer Symptomatik in 2/3 der Fälle Besserung, bei den langsam fortschreitenden Fällen nur bei 1/3 eine Besserung. Auch wenn nicht operiert wird, ist die Diagnose für die Behandlung entscheidend.  Insgesamt, ist zu bemerken, dass sowohl für die operative, als auch für die konservative Behandlung die Datenlage noch unzureichend ist, dennoch muss bei dem manchmal zu schwerer Behinderung führenden Krankheitsbild nach klinischen und radiologischen Kriterien eine Therapieentscheidung getroffen werden.

Wann sollte möglichst rasch operiert werden

  • Rasche Zunahme der Symptome
  • Auftreten von Störungen der Blasen-, Mastdarmentleerung, Potenzstörungen
  • Unzureichender Erfolg durch konservative Therapie bei Progredienz der neurologischen Symptomatik
  • Eindeutiger neuroradiologischer Befund und Verschlechterung der elektrophysiologischen Befunde