Resonanz siehe Plazebo: Unbestritten wirksam, aber unbekannt, warum CliniCum 01/2008 Hooper's Medizinisches Lexikon definierte 1811 den Terminus Placebo als: "jede Medizin die mehr dazu da ist, den Patienten zu gefallen als ihnen zu helfen". Viele Ärzte gingen damals davon aus, dass ihre aus Stärke oder Brot gefertigten Pillen (Placebos) keinen anderen therapeutischen Nutzen hatten als das Bedürfnis des Patienten nach Behandlung zu befriedigen. Niemand gab damals trotz der beschränkten Möglichkeiten der Medizin zu, dass er selbst Placebos verwendete, solcherart Behandlung wurde nur den örtlichen Rivalen und Quacksalbern unterstellt. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts erkannte man, dass Placebos zumindest in der wissenschaftlichen Untersuchung medizinischer Behandlungsverfahren unverzichtbar sind. In diesen placebokontrollierten Studien erkannte man auch die enorme Wirksamkeit der Scheinbehandlungen. Gerade die Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Prüfung von Behandlungsverfahren im Vergleich zu Placebobehandlung hat dann aber dazu geführt, dass Placebobehandlungen zugunsten wirksamerer Behandlungen verlassen wurden und in der Medizin seit dem als paternalistisch und unethisch außerhalb wissenschaftlicher Untersuchungen gelten. Martin Edwards The Lancet, 2005 "Placeboeffekte können definiert werden als positive physiologische oder psychologische Veränderungen, nach Einnahme wirkungsloser Medikamente (bzw. Medikamente ohne spezifischen Wirkstoff), Scheineingriffen, oder als Folge therapeutischer Symbole in Rahmen einer medizinischen oder psychologischen Behandlung." Wesentlich ist also bei der Plazebowirkung, die dem Medikament oder Eingriff vom Patienten beigemessene Bedeutung nicht die spezifische Wirksubstanz oder der spezielle chirurgische Eingriff. (Moerman, D.E. 2002). Plazebos haben in der ärztlichen Behandlung einen festen Platz, ihr Einsatz ist allerdings umstritten. In einer Umfrage berichteten 86% der dänischen Allgemeinärzte mindestens 1x bewusst Plazebobehandlungen eingesetzt zu haben, 48% gaben an, dies mehr als 10x getan zu haben. Unter den Krankenhausärzten war die Einsatzhäufigkeit seltener. Der häufigste Grund für die Plazebobehandlungen war, es dem Patienten recht zu machen, bzw. eine Konfrontation mit dem Patienten zu vermeiden. Als typisches Beispiel wurde die Verordnung von Antibiotika bei viralen Infekten angegeben. - Eine Intervention, die in Zeiten von MRSA nicht ganz unbedenklich ist. Evaluation & the Health Professions, Vol. 26, No. 2, 153-165 (2003) DOI: 10.1177/0163278703026002002 In der Behandlungsrealität ist der Sachverhalt komplizierter, so manche Behandlungen entsprechen Plazebobehandlungen. Dies betrifft beispielsweise durchweg die Homöopathie. Dort hat man den Sonderfall, dass meist der verordnende Arzt und der Patient beide an die Wirkung des Plazebos glauben. Bei leichteren Symptomen oder vorübergehenden Erkrankungen, wie einer Erkältung, kann dies nützlich sein und dem Patienten sogar unnötige Nebenwirkungen einer sonst vielleicht übertriebenen Behandlung- wie der o.g. Antibiotikabehandlung eines viralen Infektes- ersparen. Bei schwereren Erkrankungen kann aber durch Unterlassen einer notwendigen wissenschaftlich fundierten Behandlung auch ein großer andauernder Schaden für den Patienten entstehen. (siehe beispielsweise Fallbeispiel Medizinische Klinik 2008;103:36-7)
Setzen Ärzte und Krankenpfleger bewusst Placebos ein?
In einer anonymen schriftlichen und für das entsprechende Klinikum
repräsentativen Umfrage an der Medizinischen Hochschule
Teure Placebos wirken besser als billige. In einer randomisierten und für die
Untersucher geblindeten Studie erhielt eine Patientengruppe, ein Placebo, das
als teueres neues Schmerzmittel ($2,50 pro Pille) und die andere
Patientengruppe, ein Placebo, das normalpreisiges neues Schmerzmittel
($0,10 pro Pille) den Patienten vorgestellt worden war. Der Preis wurde
nicht kommentiert. Die Schmerzempfindung wurde mittels definierten
Stromreizen dargeboten. Das teure "Schmerzmittel" konnte bei 85.4% (95%
CI, 74.6%-96.2%) der Studienteilnehmer und das billige oder normalpreisige
"Schmerzmittel" 61.0% (95% CI, 46.1%-75.9%) eine Schmerzreduktion erzielen. Die
Autoren der Studie sehen in dieser Differenz auch einen Grund, dass neue teure
Medikamente von Patienten bevorzugt werden und deshalb beliebter sind.
Commercial Features of Placebo and Therapeutic Efficacy JAMA.
2008;299(9):1016-1017. Auch andere Untersuchungen hatten bereits
darauf hingewiesen, dass Patienten mit teureren Arzneimitteln eine höhere
Qualität in Verbindung bringen.
J Marketing Res.
1989;26(3):351-357.
Ein
Plazebobehandlungen sind Behandlungen, ohne dass ein potentiell wirksames Mittel
(Arzneimittel, Operation, Psychotherapieverfahren) eingesetzt werden. Statt
einer als wirksam erachteten (oder vermuteten) Behandlung werden
Scheinbehandlungen mit nachgebildeten Arzneimitteln oder Scheinoperationen
eingesetzt, die keine als wirksam erachteten Stoffe oder Manipulationen
beinhalten. Plazebos werden zur Überprüfung von Behandlungen eingesetzt um die
spezifische und spezielle Wirkung vom unspezifischen Effekten einer Behandlung
überhaupt zu trennen. 1948 führte der
Medical Research Council (Chalmers I. Comparing like with like: some
historical milestones in the evolution of methods to create unbiased comparison
groups in therapeutic experiments. Int J Epidemiol 2001;30:115664.) eine
neue experimentelle Methode ein um Unsicherheiten über die Wirkung von
Behandlungsverfahren zu beseitigen. Standard in guten Studien ist der
Doppelblindversuch. Beim Einfachblindversuch weiß der Arzt, ob der Patient
Plazebo oder Wirksubstanz erhält. Beim Doppelblindversuch weiß der beurteilende
Arzt nicht, ob der Patient einen Wirkstoff oder Plazebo erhält. In randomisierten Studien wurden
Surrogate (ein Ersatz) für die Kontrollgruppen, die keine Behandlung erhielten
eingeführt. Diese sollten eine Art Dummy sein, der eine wirkliche Behandlung
besser imitieren konnte, er sollte der wirklichen Behandlung ähnlich sein, bei
Medikamenten aber beispielsweise keine Chemikalien enthalten. Diese Placebos
erlaubten erstmals die Effekte einer experimentellen Behandlung von einer
Suggestion, den Auswirkungen der Erwartungen des Patienten, und dem natürlichen
Verlauf einer Erkrankung zu unterscheiden. Obwohl Placeboeffekte schon immer in
der Behandlung eine wesentlicher Rolle spielte, wurde seine Bedeutung durch die
von nun ab systematische Untersuchung deutlicher. Damals wussten die Patienten
nichts davon, dass sie nur ein Scheinmedikament im Rahmen einer Studie
erhielten. Es bestand keine Verpflichtung zur Information, für die
Forscher war dies einfacher, es war leichter zu signifikanten Ergebnissen zu
kommen. Erst Anfang der 70er Jahre wurde dieses Verfahren zurecht allgemein als
unethisch angesehen. Diese Bewertung sollte auch für die Behandlung gelten. In
der Summe spricht nichts dafür, unwirksame Verfahren wegen ihres Placeboeffektes
einzusetzen. Es wird hierdurch das Vertrauen in die Behandlung und den Behandler
gestört, das Risiko von Nebenwirkungen besteht auch bei unwirksamen
Behandlungen. Unstrittig ist, dass Placebos in der Forschung zur Beurteilung der
Wirkung einer Behandlung erforderlich sind. Strittig ist ob sie bewusst in der
Behandlung eingesetzt werden sollen. Jede wirksame Behandlung hat aber auch eine
Placebokomponente. Die Unterscheidung zwischen dem Spontanverlauf und dem
Placeboeffekt wird in Studien oft nicht berücksichtigt. Placebos deshalb
werden auch häufig überschätzt. (ASBJØRN
HRÓBJARTSSON, M.D., AND PETER C. GØTZSCHE, M.D, IS THE PLACEBO POWERLESS?,
1594 - N Engl J Med, Vol. 344, No. 21 - May 24, 2001
www.nejm.org).
Auch die gegenteilige Meinung wird allerdings fundiert vertreten:
Turner et al., 1994), In Studien beeinflusst die Auswahl der
Patienten die Placeboansprechrate. Frauen und Menschen mit weniger
schwerwiegenden Erkrankungen sprechen besser auf Placebos an. Ebensolches gilt
für Menschen mit einen besseren Vertrauen auf die eigenen Selbstheilungskräfte. Kinder mit Migräne sprechen häufiger auf
Placebo an, als dies bei Erwachsenen der Fall ist. In den letzten Jahren stieg
in Depressionsstudien die Placeboansprechrate, man geht hier davon aus, dass
Patienten mit geringeren Symptomen und kürzerer Krankheitsdauer und damit
besserem Spontanverlauf zunehmend in Studien aufgenommen werden, und dies wegen
der besseren Spontanprognose auch einen besseren Placeboeffekt zur Folge hat.
Walsh BT,
Seidman SN, Sysko R, Gould M. Placebo response in studies of major depression:
variable, substantial, and growing. JAMA. 2002;287:1840-1847. Das Ansprechen auf Placebos ist bei depressiven Patienten umso geringer, je
schwerer die Patienten erkrankt sind (35 versus 70% bei leichter Kranken),
längerdauernde Depressionen sprechen im Gegensatz zu kurzdauernden schlecht auf
Placebos an.
Khan A, Leventhal RMKhan SR, Brown WA20021991.
Khan A, Brown WA1991.
Brown WA1994.Placebos haben möglicherweise in Studien eine größere Wirkung als im klinischen
Alltag. In vielen Studiendesigns ist vorgesehen, das die Probanden sehr häufig
untersucht werden, sie erhalten wesentlich mehr Zuwendung als in der üblichen
Versorgung. Alleine hierdurch tritt eine Wirkung der Behandlung ein.
Man geht davon
aus, dass in
Medikamentenstudien
etwa 40% des
Placeboeffektes
auf die
therapeutische
Wirkung
Untersuchungsgespräche
zurückgeht.
Jede
zusätzliche
Untersuchung
bringt eine
zusätzliche
Wirkung. Der Paceboeffekt ist auch deshalb in Studien allgemein zunehmend.
Je häufiger die
Patienten in
der
Placebogruppe
untersucht
werden umso
größer ist der
therapeutische
Effekt dieser
Gespräche. Man
kann sich hier
also darüber
streiten ob es
sich um eine
Placebowirkung
oder eine
Wirkung des
Therapeutischen
Gesprächs
handelt.
MICHAEL
A. POSTERNAK
and MARK
ZIMMERMAN
Therapeutic
effect of
follow-up
assessments on
antidepressant
and placebo
response rates
in
antidepressant
efficacy trials:
Meta-analysis
Br J Psychiatry
2007 190:
287-292.
Plazebos sind Scheinarzneimittel oder Scheintherapien.
Sie enthalten keinen Wirkstoff, entfalten aber trotzdem eine Wirkung. Die
Information, die ein Patient über die Wirksamkeit und die Anwendung einer
Therapie erhält, beeinflusst die Plazebowirkung in hohem Maß.
Pollo A, Amanzio M, Arslanian A, Casadio C, Maggi G, Benedetti F.Response
expectancies in placebo analgesia and their clinical relevance. Pain
2001;93:77-84. Placebos können im Körper messbare Veränderungen bewirken und
sogar
Placebos sind in ihrer Wirkung an die Erwartungen der
Patienten gebunden.
Benedetti F, Amanzio M, Baldi S, Casadio C, Cavallo A, Mancuso M, Ruffini E,
Oliaro A, Maggi G. Dies gilt auch für den zusätzlichen Placeboeffekt
bei wirksamen Medikamenten. Hauptmechanismen für die Entstehung von
Placeboeffekten sind die Konditionierung und die Erwartung einer erfolgreichen
Therapie. Eine "Plazebopersönlichkeit", also Menschen von denen
man weiß, dass bei ihnen Plazebos besonders gut wirken, gibt es nicht. Patienten
können bei sich selbst den
Humphrey sieht drei wichtige "Hoffnung erzeugende" Faktoren:. Der erste ist die persönliche Erfahrung. Wenn eine Behandlung einmal erfolgreich war - aus welchen Gründen auch immer -, dann wird sie auch für die Zukunft mit einer Heilungserwartung verknüpft. Es handelt sich dabei um eine gelernte Komponente von Placebos. Der zweite ist die rationale Nachvollziehbarkeit. Eine Behandlung, bei der man den Wirkmechanismus zu verstehen glaubt, ruft eine positive Erwartung hervor. Dabei muss man betonen, dass es hier nicht um einen wissenschaftlichen Nachweis geht, sondern darum, dass das Individuum aus dem individuellen Vorwissen und Weltbild eine rationale Erklärung finden kann - das können auch zutiefst unwissenschaftliche Vorstellungen sein nach der Art: "Wenn etwas stark wirken soll, muss es teuer sein, weh tun oder schlecht schmecken." Der dritte Hoffnung erzeugende Faktor ist das Auftreten von Autoritäten (Freunde wie Medien), wenn also derjenige, der die Behandlung vertritt, anerkannt ist - wobei auch hier wieder nur die subjektive Einschätzung der Autorität eine Rolle spielt. Nach dieser Theorie ist auch davon auszugehen, dass der Anteil des Placeboeffektes bei wirklich wirksamen Medikamenten größer ist, als bei genuinen Placebos. Klassische Erklärungen der Placeboreaktionsraten klinischer Studien gehen davon aus, dass diese durch die Erwartung der Studienleiter, Ärzte und Patienten moduliert werden (R. Rosenthal, Versuchsleitereffekt). Für das Verständnis des Placeboeffektes hängt viel von der Definition von Krankheit ab. Wenn Krankheit einfach ein krankhafter Zustand des Körpers oder der Seele mit ist, dann ist sie uneingeschränkt schädlich und es kann keinen Profit davon geben nicht gesund zu werden. Wenn man aber Krankheit weiter fasst als einen abnormen Zustand des Körpers oder der Seele den man als Patient beeinträchtigend erlebt und nach Linderung sucht, kann die Sachlage anders sein. Solche Zustände sind bekanntermaßen oft nützliche vom Körper selbst geschaffene Schutzeffekte für den Körper. Sie sind oft der eigentliche Anlass ärztliche Hilfe zu suchen. Schmerz ist hierfür ein typisches Beispiel. Schmerz ist keine körperliche Funktionsstörung sondern eine Anpassung an eine Funktionsstörung. Schmerz soll vor weiteren Verletzungen schützen, soll dazu ermutigen sich zu schonen und Hilfe zu suchen. So unangenehm er ist bleibt er doch für den Körper nützlich - nicht so sehr als Problem als als Teil der Lösung des Problems. Dies gilt auch für eine Vielzahl anderer Symptome. Fieber bei einer Infektion hilft die Erreger zu bekämpfen. Erbrechen und Durchfall hilft die Gifte im Verdauungstrakt loszuwerden. Ähnliches gilt für rein psychische Symptome, Phobien schützen einen davor sich einer bestimmten Gefahr auszusetzen. Weinen signalisiert ein Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung. Depressionen können vor weiteren Überforderungen schützen. usw. Wenn diese Abwehrstrategien des Körpers eine Verteidigung gegen etwas noch bedrohlicheres als das Symptom selbst sind, kann es nützlicher sein, das Symptom beizubehalten, als vorzeitig geheilt zu werden. Wenn man den Schmerz nicht mehr spürt, holt man sich leichter neue Verletzungen. Wenn man bei der Grippe Aspirin nimmt, kann es länger dauern bis sie ausheilt. Manchmal scheint es deshalb besser zu sein, wenn man sich länger schlecht fühlt. Solange es sich dabei um einen zeitlich begrenzten Vorgang handelt und keine bessere Alternative verfügbar ist, kann dies eine gesunde Lösung sein. Der Übergang zu dem, was man dann als Krankheitsgewinn bezeichnet, ist somit fließend. Siehe auch Di Blasi Z, Harkness E, Ernst E, Georgiou A, Kleijnen J. Influence of con text effects on health outcomes: a systematic review. Lancet 2001;357:75762. Obwohl die genannten Mechanismen Schutzmechanismen
sind, sind sie dennoch legitimer Grund zur Klage. Diese Schutzmechanismen sollen
uns gut tun, dennoch können sie leicht zur erheblichen Last werden. Dies nicht
nur weil wir Schmerzen oder Fieber nicht mögen, sondern auch weil es sich eben
um unangenehme Zustände handelt die auch unsere Fitness oft schwer
beeinträchtigen. Schmerz schützt uns also, aber mit hohen Kosten. Biologisch
gesehen, senkt er zwar das Risiko weil er dazu führt, dass wir unsere Gliedmaßen
weniger bewegen, er liefert uns aber statt dessen vermehrt anderen Gefahren
durch die daraus entstehende Unbeweglichkeit aus. Schlimme Schmerzen können
sogar unsere Fähigkeit klar zu denken beeinträchtigen. Schmerzen machen nicht
selten depressiv und hoffnungslos manchmal sogar suizidal. Bei verzweifelten
Krebspatienten kann die Morphiumbehandlung durch die Behebung dieser
Komplikationen lebensverlängernd sein. Fieber bei einer Infektion hilft die
Erreger zu bekämpfen, aber es kann auch zu erheblichen Nebenwirkungen bis hin zu
Fieberkrämpfen führen. Erbrechen und Durchfall hilft die Gifte im
Verdauungstrakt loszuwerden, aber auch wichtige Nahrungsbestandteile, Wasser und
Salze gehen verloren. Depressionen schützen manchmal vor Überforderungen, sie
führen aber auch zu sozialem Rückzug, Interessenverlust und manchmal sogar zum
Suizid. Weinen signalisiert ein Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung, offenbart
aber auch die eigene Schwäche an Konkurrenten. Insgesamt sind damit meist die
Vorzüge des Symptoms bei genauer Ansicht für das Individuum eher nachteilhaft.
Die diesbezügliche Abwägung kann aber selbst dann, wenn sie ganz bewusst
getroffen würde eine sehr schwierige Interessenabwägung sein. Die Bereitschaft
zur Aufgabe des Krankheitsgewinns oder des schützenden Symptoms, hängt davon ab,
wie groß die vermutete Gefahr und die Aussicht auf eine einfache Lösung des
dahinter liegenden Problems ist. Da letzteres für viele nicht durchschaubar ist,
erscheint oft das Symptom die sicherere Seite. Allgemein führt alles was uns
glücklicher, sicherer, erfolgreicher, satter und zufriedener macht, zu einem
geringeren Gewinn durch die Symptome einer Krankheit. Alles was uns
besorgt, einsam, erfolglos macht oder uns gar der Verachtung anderer ausliefert
lässt das Symptom attraktiver erscheinen. Bei Verlust eines Arbeitsplatzes, der
Wohnung oder eines geliebten Menschen kann das Symptom eine scheinbar bessere
Lösung als die Heilung sein.
Wesentlich scheint dabei der Faktor Hoffnung und Berechenbarkeit für den Verlauf zu sein. Häufige Krankheitssymptome bei amerikanische Bomberpiloten im 2. Weltkrieg in verlustreichen Staffeln sollen sich erheblich gebessert haben, als diesen auf Anraten von Psychologen mitgeteilt wurde, dass sie nach exakt 40 Einsätzen abgelöst werden. Die durchschnittliche Zahl der Einsätze war zuvor auch nicht größer aber undurchschaubar. Ähnlich waren die Ergebnisse von Versuchpersonen im Aushalten von Schmerzen z.B. durch halten von Eis in der Hand. Das wissen um die zeitliche Grenze veränderte nicht die zeitliche Grenze, wohl aber erhöhte es die Zahl derer die diese erreichten und minderte das subjektive Schmerzempfinden erheblich. Je genauer das Ende des Schmerzes bekannt ist, umso besser ist er auszuhalten und umso weniger belastend ist er subjektiver. Menschen scheinen dabei ihre Ressourcen an selbstheilenden Kräften auf die vermutete Dauer der Erkrankung einzurichten. Auch dies ist ein sinnvoller Anpassungsprozess. Humphrey führt hierfür als Beispiel an, dass eine Frau von Ihrem Arzt Tropfen erhält, von denen sie nur glaubt, dass diese ein Antibiotikum enthalten. Sollte der Körper auf diese Tropfen hin das Fieber reduzieren, so könnte es ihn zu früh der abwehrenden Kräfte des Fiebers berauben. Nicht gerechtfertigte Placeboreaktionen können über unberechtigte Hoffnungen Schaden anrichten und müssen als biologische Fehladaptation bezeichnet werden. Die Nutzung des Placeboeffektes als wesentlicher Wirkmechanismus der Alternativmedizin bleibt damit in vieler Hinsicht problematisch. Nicholas Humphrey Great Expectations: The Evolutionary Psychology of Faith-Healing and the Placebo response, Proceedings of the 27th International Congress of Psychology, 2000). Der Hirnstamm spielt eine wesentliche Rolle in der Kontrolle des körpereigenen Opioidsystems. Mit beteiligt ist hierbei auch dass anteriore Cingulum. Eine Aktivierung dieser Hirnregionen ist bei Gabe von Opiaten genauso nachweisbar wie bei eintretender Placebowirkung. Am deutlichsten ist diese Placebowirkung für jeden in der alltäglichen Erfahrung sichtbar bei Kindern, die sich verletzt haben. Obwohl eine oft blutende Wunde zurückbleibt, die offensichtlich weh tun müsste, lässt der Schmerz oft schnell nach einem Trost der Mutter nach. Dabei hat die Mutter nicht nur das Kind beruhigt und ihm die Sicherheit gegeben, dass nichts schlimmes passiert ist, sie hat auch für das Kind die Bedeutung des Schmerzes relativiert. Wir Erwachsenen müssen uns meist selbst beruhigen und die Bedeutung des Schmerzes selbst einordnen. Dabei kann es auch ohne Hilfe von außen gelingen, den Schmerz zu relativieren. Nicht nur psychologische Beobachtungen auch funktionelle Kernspinbilder beweisen, dass alleine die Aufmerksamkeit auf ein anderes Geschehen zu lenken (Ablenkung) den Schmerz reduziert.
Auch viele Chirurgische Eingriffe scheinen überwiegend über einen Placeboeffekt zu wirken. Als Placebo kann vieles wirken: Zuckerpillen ohne
arzneiliche Wirkung oder Medikamente mit tatsächlicher pharmakologischer
Wirkung. In randomisierten, doppelblinden Wirksamkeitsstudien wird die mit der
zu prüfenden Intervention behandelte Gruppe mit einer Kontrollgruppe verglichen,
die typischerweise Placebo erhält. Sofern es sich um eine Indikation handelt,
für die bereits Therapieoptionen verfügbar sind, so wird abhängig von der
medizin-ethischen Vertretbarkeit die Prüfmedikation (Verum bzw. Placebo) als "add-on"
adjuvant zur etablierten Therapie appliziert oder im drei- oder mehrarmigen
Vergleich mit Placebo einerseits und der etablierten Therapie andererseits
verglichen. Evidenz-basierte Medizin, wie vom Gesetzgeber gefordert, ist
unverzichtbar auf randomisierte doppelblinde Wirksamkeitsstudien mit
Parallelgruppenvergleich angewiesen. Sie ist eine notwendige, wenn auch noch
nicht unbedingt hinreichende Bedingung. Nur so kann beurteilt werden, ob eine zu
prüfende Intervention anderen oder bisherigen Verfahren überlegen ist.
Statistisch signifikant bedeutet aber noch lange nicht immer klinisch relevant.
Die Einnahme von Medikamenten verursacht auch in Studien bei Patienten Ängste
mit körperlichen Symptomen, diese können fälschlich zur Annahme einer Allergie
oder Nebenwirkung führen.
(SR Knowles,2002)
Die Placebowirkung ist abhängig von der Art wie das Placebo verabreicht wird.
So fand eine Metaanalyse von Studien bei Migränemitteln, dass die (völlige
oder weitgehende) Schmerzfreiheit bei 25,7 % der Patienten eintrat, denen das
Medikament als Pille gegeben wurde, während es bei Verabreichung des
Scheinmedikamentes aus Spritze immerhin 32,4 % waren. Der Unterschied war
statistisch signifikant. (de Crean AJ
et al: 2000) Placebos hatten bei einer Reihe von Krankheiten
keine messbaren Effekte auf den Verlauf. Besonders "wirksam" sind sie bei
subjektiven Beschwerden wie Schmerz, Schlafstörungen oder depressiven Symptomen.
(Hrobjartsson und Götzsche, New England Journal of Medicine, 2001; 344: 1594).
Dass eine Überprüfung der Wirksamkeit von Therapien aller Art notwendig ist und
dabei Placebobehandlungen als Kontrolle erforderlich sind ist unstrittig. Dies
gilt auch für Psychotherapien und operative Eingriffe.
Eine der ersten
Studien die den
Plazeboeffekt
operativer
Eingriffe
untersuchte,
wurde 1959
durchgeführt.
Damals gab es
zunächst
Beobachtungsstudien,
die zum
Ergebnis kamen,
dass eine
Unterbindung
einer Arterie,
die die
Brustdrüse
versorgt (A.
mammaria
interna) bei
Patienten mit
einer Angina
pectoris zu
einer
Beschwerdebesserung
führt.
Cobb et al
machten dann
eine Studie bei
der nach
Zufallsversteilung
ein
Scheineingriff
oder eben die
Unterbindung
dieser Arterie
durchgeführt
wurde. In
beiden Gruppen
berichteten die
Patienten eine
Verbesserung
ihrer
Beschwerden,
diese Besserung
war aber in der
Gruppe der
Patienten mit
dem
Scheineingriff
deutlicher als
in der "Verumgruppe".
Die Patienten
benötigten
weniger
Nitropräparate
und gaben an
besser
körperlich
belastbar zu
sein und
seltener Angina
pectoris zu
bekommen. (Cobb
1959; Nach einer jetzt
veröffentlichten Studie
( J. B. Moseley and Others
[Abstract]
[Full Text]
[CME Exam] Ein anderes Beispiel ist die
perkutane Vertebroplastie. Die perkutane Vertebroplastie ist ein Verfahren zur Behandlung von
osteoporotischen oder durch Metastasen bedingten Frakturen der Wirbelkörper
durch Injektion von medizinschem Zement bzw.
Es gibt keine Rechtfertigung für den bewussten therapeutischen Einsatz von Placebos außerhalb von Studien, da dies letztlich einen Betrug am Patienten darstellt. Hrobjartsson und Götzsche bieten eine Erklärung an, warum Ärzte bislang zur Überschätzung von Placebos neigen. Ärzte machen nämlich in Studien immer wieder die Beobachtung, dass es auch den Patienten, die Placebos erhalten, im Laufe der Studie besser geht als zu Beginn. Hrobjartsson und Götzsche vermuten aber, dass diese Besserung schlicht durch natürliche Schwankungen im Verlauf vieler Krankheiten bedingt ist, also nichts mit der Wirkung einer Therapie zu tun hat. Selbst bei unheilbaren und chronischen Krankheiten wechseln immer wieder bessere mit schlechteren Phasen: Allergiker, Herz- und Krebskranke kennen das. Zu An Studien nehmen aber vor allem Patienten teil, die sich gerade schlecht fühlen. Da ist mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass eine Reihe von selbst in eine Phase kommt, in denen es ihnen wieder etwas besser geht. Ähnliches gilt für das Aufsuchen alternativer Heiler. Etwas erstaunlich in Bezug die medizinische Ethik ist die Feststellung, dass weniger als der Hälfte der Patienten die an einer Placebokontrollierten Studie teilgenommen haben von den den Untersuchern mitgeteilt wird, dass sie eine Placebobehandlung erhalten haben. Zelda Di Blasi, Ted J Kaptchuk, John Weinman, Jos Kleijnen, Informing participants of allocation to placebo at trial, BMJ VOLUME 325 7 DECEMBER 2002 www.bmj.com
Psychischen Einflüsse auf den Heilungsprozess werden nicht selten mit der Placebowirkung verwechselt. Üblicherweise summieren Ärzte unter Placebo-Effekt alles, was nicht durch die "spezifische Wirkung" einer Therapie erklärt werden kann - wenn also beispielsweise ein Inhaltsstoff wie Acetylsalicylsäure gezielt in einen Stoffwechselvorgang eingreift. Der Placebo-Effekt sollte aber von einem anderen Phänomen, dem "Kontext-Effekt"; abgegrenzt werden. Damit gemeint ist die Situation und die Atmosphäre, die ein Arzt durch die Art und Weise schafft, wie er mit seinem Patienten umgeht: Nimmt er sich Zeit? Geht er auf ihn ein? Wie gut erklärt er die Krankheit?". Diese Atmosphäre, die ein Arzt erzeugt, bestimmt Erwartungen und Umgang des Patienten mit seiner Krankheit vermutlich stärker, als es die Hoffnung auf die Wirkung einer Therapie tut. Vor allem Ärzte, die emotionales Einfühlungsvermögen mit verständlicher Information verbinden, haben die besseren Therapieergebnisse im Vergleich zu eher unbeteiligt und verschlossen auftretenden Kollegen. Pflanzliche Produkte sind in Deutschland sehr beliebt. Für die meisten Substanzen gibt es weder Wirksamkeitsstudien noch vernünftige prospektive Studien zu schwerwiegenden Nebenwirkungen. Ein Hinweis, dass irgendeine dieser Substanzen als Infusion oder Spritze verabreicht besser wirksam sein könnte, als wenn sie geschluckt werden steht ebenfalls aus. Eine Verabreichung von Johanniskraut als Infusion hat keinerlei erwiesenen Vorteil. Einziger Sinn kann hier ein verbesserter Placeboeffekt nach Anwendung als Spritze oder Infusion sein. Dass Placebos als Spritze besser wirken ist zwar bei Kopfschmerzen erwiesen. Ob dieser verbesserte Placeboeffekt allerdings die Risiken rechtfertigt, ist aus meiner Sicht mehr als fraglich. Wissenschaftliche Beweise für die Vorstellung, dass pflanzliche Präparate das Immunsystem stärken zu können, fehlen bisher trotz jahrzehntelanger Anwendung. Die Neurologischen Universitätsklinik in Heidelberg berichtet über zwei Fälle, bei denen wiederholte Injektionen von Pflanzenextrakten eine MS auslösten. In beiden Fällen legen der enge zeitliche Zusammenhang zwischen den Injektionen der Pflanzenextrakte und dem Beginn der neurologischen Ausfälle sowie die Tatsache, dass die Injektion wiederholt durchgeführt worden war, nahe, dass tatsächlich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Injektion der Pflanzenextrakte und der MS besteht. Schwarz S, Knauth M, Schwab S, Walter-Sack 1, Bonmann E, Storch-Hagenlocher B. Acute dissemlnated encephalomyelitis after parenteral therapy wlth herbal extracts. a report of two cases. J Neurol Neurosurg Psychlatry 2000;69,516-8. Doch nicht nur Mittel, auch Menschen wirken auf Kranke. So können allein das, was der Arzt seinen Patienten sagt, und die Art, wie er sie berät, Besserung bewirken. Am Effekt einer jeden medizinischen Behandlung sind der Glaube des Arztes an seine Therapie und das Vertrauen des Patienten zu seinem Arzt beteiligt. Beides verstärkt einander und ist nicht voneinander zu trennen. Das Geheimnis des Erfolgs einer jeden Therapie liegt in dem Vertrauensverhältnis. Mit seiner Zuwendung stärkt der Behandler die Hoffnung des Kranken auf Genesung. Zusätzlich wirkt bei jeder Behandlung auch das ,,Arrangement": Eindrucksvolle Geräte, komplizierte Dosierungspläne schwierige Verhaltensanweisungen und der Glaube, dass das Medikament besonders wirksam sei, können die Ansprechrate eines Placebos von 25 auf 75 Prozent steigern. Hierbei wirken Placebos in dem Sinn, wie es Behandler und Patient erwarten: lindernd, heilend. Doch auch genau das Umgekehrte ist möglich: Placebos verstärken Schmerzen, wo
sie sie lindern sollten, sie putschen auf, wo sie beruhigen sollten und so
weiter. Ebenso, wie wirksame Arzneimittel auch unerwünschte Nebenwirkungen mit
sich bringen können, kann bei einem Placebo auch ein Nocebo-Effekt auftreten: Placebos können als Nebenwirkung den
Blutdruck steigern, Schwitzen oder Hautausschläge verursachen und anderes mehr."
Ein eindruckvolles Beispiel des Nocebo- Effektes bildet ein Schmerzexperiment:
Schmerzen lassen sich experimentell auch einfach
psychologisch erzeugen. In einer Studie wurden Freiwillige mit 2 Elektroden
unterhalb des Auges an ein Gerät mit der Aufschrift "Schock-Generator"
angeschlossen. Den Versuchspersonen wurde erklärt, dass nicht messbarer Strom
durch den Kopf geleitet werde. Real erzeugte das Gerät nur ein in 5 Stufen
lauter werdendes Geräusch beim Hochschalten. Von 99 Versuchspersonen berichteten
25 Schmerzen, weitere 23 gaben punktuelle Schmerzen an, verneinten aber
Schmerzerleben bei nachträglicher Befragung, 3 berichteten andere Empfindungen:
Mundtrockenheit, Verspannung im Nacken, pulsierende Empfindung, 7 Schmerz nur im
Elektrodenbereich, 7 im erweiterten Elektrodenbereich, 11 sowohl im
Elektroden-als auch in anderen Bereichen, 28 nur in anderen Bereichen des
Kopfes. Bayer et al. Anxiety in experimentally induced somatoform symptoms,
Psychosomatics, 34, 1993, 416-423. Der Anteil des Placeboeffekts bei
der Linderung oder Heilung von Krankheitszuständen wird etwa zwischen 20 und 70
Prozent beziffert. Das gilt für die übliche medizinische Behandlung mit
Medikamenten ebenso wie für die ,,alternativen" Therapien. Entscheidender Faktor
für den Grad positiver Placebowirkungen ist die hoffnungsvolle
Erwartungshaltung' mit der der Patient seinem Behandler begegnet." Und nicht
zuletzt stärkt der Preis, den die Patienten für ihre Behandlung selbst
entrichten müssen, den Wunsch, dass das finanzielle Opfer nun auch einen
gesundheitlichen Nutzen haben möge. Der Placeboeffekt wird standardmäßig bei
Einführung von neuen Medikamenten mit der Wirkung der Substanz verglichen. Dabei
werden die Studien immer doppelblind angefertigt. Das bedeutet, dass weder der
Arzt der das Medikament verordnet, noch der Patient weiß ob er ein Placebo oder
ein wirksames Medikament erhält. Um die übliche Dimension des Nocebo- Effektes
das heißt der Nebenwirkungen von Placebos deutlich zu machen werden unten die
Nebenwirkungen zweier verschiedener Antidepressiva in solchen Studien im
Vergleich zum Placebo bei den Studienteilnehmern gezeigt. Ein solcher Placebo-
Effekt würde auch bei aufgeklärten Ärzten in ähnlichem Maße auftreten.
Bezüglich der positiven Wirkung gegen Depressionen geht man bei Antidepressiva
z.B. davon aus, dass bei 25% der Patienten durchschnittlich auch durch
Placebo eine Besserung eintritt; durch das Antidepressivum bei 80%. Nocebo-
Effekte können aber auch hilfreich sein, die detaillierte Aufklärung über
mögliche sehr unangenehme Nebenwirkungen kann die Wahrscheinlichkeit solcher
Nebenwirkungen vermindern. Psychosomatic
Medicine 68:478-486 (2006)
Es darf hier zitiert werden aus einem Artikel des Deutschen Ärzteblattes Nr 95, Heft 3, vom 16.01.1998, S. A 91ff: Multiple chemical sensitivity", Karl-Walter Bock und Nils Bierbaumer, analog dem so genannten Placeboeffekt, wird dort von einem so genannten Noceboeffekt ausgegangen, es heißt hier: analog zur Forschung über den Placeboeffekt kann man davon ausgehen, dass dem Noceboeffekt starke Erwartungshaltungen zugrunde liegen, die zu Änderungen im Verhalten, Denken und von emotionalen Reaktionen und vor allem auch zu realen endokrinen Effekten und Änderungen des autonomen Nervensystems führen. Für den Placeboeffekt konnte man zeigen, dass erhöhte Suggestivität und Angst entweder konstitutionell bedingt oder ausgelöst durch externe Faktoren zu einer Verstärkung der Glaubens- und Erwartungshaltung führen. Entsprechend würden ängstliche Personen und jene, die unter psychischen Belastungen stehen, eher zu Noceboreaktionen neigen. Der zweite psychologische Faktor, der bei Placebo- und Noceboreaktionen eine entscheidende Rolle spielt, ist die positive oder negative Verstärkung der Noceboreaktionen durch die Umwelt, vor allem durch Familie, Freunde und Ärzte und andere Personenkreise. Noceboreaktionen sowohl auf der Verhaltens- als auch auf der hormonellen Ebene können durch unmittelbare Zuwendung für die Äußerungen dieser Reaktion aufrechterhalten werden und dauerhaft verstärkt werden. Eine ähnliche Reaktion wurde auch für chronische Schmerzzustände gefunden, das Noceboverhalten wird weiterhin durch die Vermeidung unerwünschter und unangenehmer Tätigkeiten und die Aufnahme von Schonhaltungen (Krankheitsverhalten) Genauso wie ein Placebo eine glaubensbedingte Wahrnehmung eines gesundheitsfördernden Aspektes ist, so ist das Nozebo die glaubensbedingte Wahrnehmung eines gesundheitsabträglichen Effektes. Dies ist insbesondere bei MCS wie auch bei vielen anderen toxikologischen Effekten der Fall. Nozebophänomene finden sich überall. Solche Effekte lassen sich auch im psychologischen Experiment auflösen. In einem Versuch an 24 Studenten täuschte man die Gabe von Psychopharmaka vor. Bei sechs verschiedenen Leistungstests konnte keine Änderung festgestellt werden. Befragte man sie jedoch nach ihrem Befinden, äußerten sie viele Arten von Missbefinden. Sie waren überzeugt, dass die "vorgetäuschten Psychopharmaka" daran schuld waren. Nozebos, sind unter besonderen Umständen ansteckend. Diese können lawinenartig ganze Massen von Menschen infizieren. In der amerikanischen Arbeitsmedizin bezeichnet man sie deshalb auch als "mass psychogenic illness". Im deutschsprachigen Raum sollte deshalb nicht von Syndromen gesprochen werden, sondern es sollte der Begriff "illness" gewählt werden, der "sich krank fühlen" bedeutet. Da Nozebo-Phänomene ansteckend sind, wird die individuelle Behandlung nicht weit führen, wenn nicht zugleich die Gesellschaft sich selbst erzieht und dadurch immunisiert. Aber es gehört zu den Grundrechten und -eigenschaften des Menschen, dass er seine Welt psychosozial bewertet und ausstattet, auch mit Nozebos. Der Umgang mit Risiken wird eher durch Verhandlung innerhalb eines Sozialsystems geregelt als durch gehorsame Befolgung patriachalischer wissenschaftlicher Vorgaben. Marx, Catrin "Multiple Chemical Sensitivity": Keine gesicherten wissenschaftlichen Daten für einen exakten Nachweis des Krankheitsbildes Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 22 vom 04.06.99, Seite A-1499 [MEDIZIN: Kongressberichte und -notizen] Der Verlust einer noch als gesund wahrgenommenen Umwelt wird ebenso wie die direkten gesundheitlichen Risiken als Bedrohung empfunden. Ganz analog hierzu lässt sich der Noceboeffekt nicht allein mit der psychopathologischen Ängstlichkeit und Beeinflussbarkeit der "Umwelt Patienten" erklären. Wie der Placeboeffekt auf ein kulturell und individuell erworbenes Vertrauen in die Medizin zurückgeht und eine entsprechende Erwartungshaltung beinhaltet, so setzt der Noceboeffekt einen allerdings emotional negativ gefärbten Erfahrungshintergrund und eine entsprechende Zukunftsbesorgnis voraus. Eine auf den biochemischen Mechanismus reduzierte und ihres eigenen selbstregulierenden Potenzials und damit der natürlichen Lebensgrundlagen beraubte Umwelt ist - so könnte jedenfalls die erhebliche Zunahme von Patienten mit umweltmedizinischen Beschwerdesymptomen gedeutet werden - ein immer wichtiger werdendes gesundheitliches, aber auch ein medizinisches Problem: gewissermaßen eine Noxe neuen Typs. Dunkelberg, Prof. Dr. med. Hartmut; Paufler, Dr. med. Patrick Psychisch Kranke in der Umweltmedizin: Umweltbelastung - auch ein psychischer Stressor Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 39 vom 29.09.00, Seite A-2539 Für viele Menschen ist es ein Bedürfnis und ein fester Glaube, dass die Medizin für jede Befindlichkeitsstörung und für jede Krankheit ein Heilmittel habe muss. Dieses Bedürfnis kann die Medizin in vielen Fällen nicht erfüllen. Dies bedeutet meist nicht, dass dem Patienten keine Hoffnung angeboten werden kann. Der Weg dahin ist aber bei rationalen Methoden für den Patienten und den Behandler ohne Plazebomedizin anstrengender als die Verabreichung eines Plazebos. Oft ist die wichtigste Hilfe, den Patienten zu helfen, mit ihrem Leiden besser umzugehen und es zu akzeptieren. Meist wird dadurch nicht nur eine Akzeptanz des Leidens sondern auch eine gute Lebensqualität erreicht. Diese beschränkten Möglichkeiten sich für Behandler wie für Patienten jedoch oft schwer zu akzeptieren und noch häufiger wird diese schlecht vermittelt. Hieraus resultiert ein mit fundierten Möglichkeiten nicht zu befriedigendes Behandlungsbedürfnis, das nicht selten zu bewussten oder nicht eingestandenen Plazebobehandlungen Anlass gibt. Daneben gibt es nicht wenige Behandlungen, die nur sehr geringen Nutzen haben, der kaum oder gar nicht die Nebenwirkungshäufigkeit einer Behandlung überschreitet. Ein wirtschaftliches Interesse an solchen nicht benannten "aktiven Plazebos" besteht von vielen Interessengruppen. Nicht selten werden hierzu sogar die Kranken erst selbst geschaffen. Eine der unauffälligsten und effektivsten Methoden Kranke zu generieren, ist Normwerte und cut offs dikret zu verschieben. Mit ganz kleinen Bewegungen kann man so saftige Scheiben der Gauss'schen Verteilungskurve abschneiden und die Anzahl der Kranken und Behandlungsbedürftigen kräftig erhöhen. Im Gegensatz zu dem was der Name verspricht, führt die Benutzung von Placebos in der Regel zu Enttäuschungen, Schaden für die therapeutische Beziehung ist wahrscheinlich. Ein Behandlungserfolg durch Placebos könnte dabei sogar noch schädlicher sein, als ein Therapieversager unter Placebo. Den Placeboeffekt aufrechtzuerhalten könnte die Vertrauenskrise noch verstärken, viele legitime und übliche Fragen der Patienten zu Wechselwirkungen, Nebenwirkungen müssten weiterhin regelmäßig mit Lügen beantwortet werden. J. Hill Placebos in clinical care: for whose pleasure? The Lancet, 362, Number 9379, 19 July 2003 [Full Text] [PDF]
Zwei Beispiele aus Studien zu Antidepressiva sollen den Placebo und Noceboeffekt deutlich machen.
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