Karl C. Mayer, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse

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Schwindel

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Episodische Ataxien sind dominant erbliche Erkrankungen, die durch eine vorübergehende Erregungsstörung des Kleinhirns charakterisiert sind. Bei der episodischen Ataxie Typ 1 (EA-1) werden Sekunden bis Minuten andauernde ataktische Anfälle durch Startbewegungen („kinesiogene Ataxie“) und körperliche Anstrengung ausgelöst. Zusätzlich bestehen zwischen den Anfällenl Myokymien (Muskelwogen), vor allem der Gesichts- und der Hand und Fußmuskulatur, die durch eine Übererregbarkeit des zweiten Motoneurons zustande kommen. Der Erkrankung liegen Punktmutationen im Gen KCNA1 des spannungsgesteuerten Kaliumkanals Kv1.1 zugrunde, der im Kleinhirn, in Motoneuronen und im Skelettmuskel exprimiert wird. Untersuchungen zur Funktion der mutierten Ionenkanäle zeigen eine deutliche Reduktion des Kaliumstroms oder eine Verschiebung der Strom-Spannungs-Kennlinie. Dies führt zu einer Übererregbarkeit aufgrund einer gehemmten Repolarisation der Neuronenmembran und erklärt die Pathophysiologie. Therapeutisch wirkt Acetazolamid bei manchen, aber nicht allen Patienten zur Prophylaxe der Attacken. Gegen die Myokymien hilft am besten Carbamazepin, was in einigen Fällen auch die Häufigkeit der Attacken zu reduzieren vermag.
Bei der episodischen Ataxie Typ 2 (EA-2) dauern die Anfälle mehrere Stunden oder sogar länger als einen Tag. Sie können durch körperliche Anstrengung oder emotionalen Stress, nicht jedoch durch Startbewegungen ausgelöst werden. Während der Anfälle können zusätzlich Kleinhirn- oder Hirnstammsymptome wie Doppelbilder, Schwindel oder Dysarthrie auftreten. Die EA-2-Patienten zeigen häufig im anfallsfreien Intervall einen Nystagmus. Bei manchen Patienten kann sich eine progrediente Ataxie und Dysarthrie entwickeln, die mit einer zerebellaren Atrophie einhergeht. Ursächlich wurden Mutationen im Gen CACNA1A eines neuronalen P/Q-Typ-Calciumkanals gefunden, die zu einem Kettenabbruch oder veränderten Splicing, das heißt zu einem Funktionsverlust des Kanals führen. Der Kanal wird an den meisten Stellen des Gehirns exprimiert, sodass die isolierte Ataxie pathophysiologisch unklar ist. Ebenso ungeklärt ist bisher der elektrophysiologische Pathomechanismus. Die EA-2 spricht sehr gut auf Acetazolamid an. Eine Studie zur Pathophysiologie zeigte durch Protonen-spektroskopische Messungen im Kleinhirn, dass ein pathologischer intrazellulärer pH-Wert durch Acetazolamid korrigiert werden konnte, was mit dem klinischen Bild der Patienten gut korrelierte.Zitiert nach  Lerche, Holger; Mitrovic, Nenad; Jurkat-Rott, Karin; Lehmann-Horn, Prof. Dr. med. Frank Ionenkanalerkrankungen – Krankheitsbilder Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 27 vom 07.07.00, Seite A-1902
Begrifferklärung: Ataxie: (Ataxis= Unordnung im Bewegungsablauf); Störung des geordneten Zusammenwirkens der Muskeln, wodurch das Zustandekommen einer zielgerichteten Bewegung gestört oder aufgehoben ist. Anderer Ausdruck für Koordinationsstörung Gangataxie: Breitbeiniger, schwankender, unsicherer Gang (wie betrunken).Standataxie: Unfähigkeit, ohne Hilfe sicher zu stehen. Folge: Schwanken, Fallneigung nach einer oder mehreren Richtungen, Umfallen. spinale Ataxie: infolge Schädigung sensibler Bahnen im Rückenmark gelangen Informationen über Stellung der Gelenke und Spannung der Muskulatur nicht mehr zur entsprechenden Zentrale des Gehirns. Wegen dieses Informationsmangels werden Bewegungen nicht mehr steuerbar .

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