Schwindel
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Episodische
Ataxien sind dominant erbliche Erkrankungen, die durch eine
vorübergehende Erregungsstörung des Kleinhirns charakterisiert sind. Bei der
episodischen Ataxie Typ 1 (EA-1) werden Sekunden bis Minuten andauernde
ataktische Anfälle durch Startbewegungen („kinesiogene Ataxie“) und körperliche
Anstrengung ausgelöst. Zusätzlich bestehen zwischen den Anfällenl Myokymien
(Muskelwogen), vor allem der Gesichts- und der Hand und Fußmuskulatur, die durch
eine Übererregbarkeit des zweiten Motoneurons zustande kommen. Der Erkrankung
liegen Punktmutationen im Gen KCNA1 des spannungsgesteuerten Kaliumkanals Kv1.1
zugrunde, der im Kleinhirn, in Motoneuronen und im Skelettmuskel exprimiert
wird. Untersuchungen zur Funktion der mutierten Ionenkanäle zeigen eine
deutliche Reduktion des Kaliumstroms oder eine Verschiebung der
Strom-Spannungs-Kennlinie. Dies führt zu einer Übererregbarkeit aufgrund einer
gehemmten Repolarisation der Neuronenmembran und erklärt die Pathophysiologie.
Therapeutisch wirkt Acetazolamid bei manchen, aber nicht allen Patienten zur
Prophylaxe der Attacken. Gegen die Myokymien hilft am besten Carbamazepin, was
in einigen Fällen auch die Häufigkeit der Attacken zu reduzieren vermag.
Bei der episodischen Ataxie Typ 2 (EA-2) dauern die Anfälle mehrere Stunden oder
sogar länger als einen Tag. Sie können durch körperliche Anstrengung oder
emotionalen Stress, nicht jedoch durch Startbewegungen ausgelöst werden. Während
der Anfälle können zusätzlich Kleinhirn- oder Hirnstammsymptome wie
Doppelbilder, Schwindel oder Dysarthrie auftreten. Die EA-2-Patienten zeigen
häufig im anfallsfreien Intervall einen Nystagmus. Bei manchen Patienten kann
sich eine progrediente Ataxie und Dysarthrie entwickeln, die mit einer
zerebellaren Atrophie einhergeht. Ursächlich wurden Mutationen im Gen CACNA1A
eines neuronalen P/Q-Typ-Calciumkanals gefunden, die zu einem Kettenabbruch oder
veränderten Splicing, das heißt zu einem Funktionsverlust des Kanals führen. Der
Kanal wird an den meisten Stellen des Gehirns exprimiert, sodass die isolierte
Ataxie pathophysiologisch unklar ist. Ebenso ungeklärt ist bisher der
elektrophysiologische Pathomechanismus. Die EA-2 spricht sehr gut auf
Acetazolamid an. Eine Studie zur Pathophysiologie zeigte durch
Protonen-spektroskopische Messungen im Kleinhirn, dass ein pathologischer
intrazellulärer pH-Wert durch Acetazolamid korrigiert werden konnte, was mit dem
klinischen Bild der Patienten gut korrelierte.Zitiert nach Lerche,
Holger; Mitrovic, Nenad; Jurkat-Rott, Karin; Lehmann-Horn, Prof. Dr. med. Frank
Ionenkanalerkrankungen – Krankheitsbilder Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 27 vom
07.07.00, Seite A-1902
Begrifferklärung: Ataxie: (Ataxis=
Unordnung im Bewegungsablauf); Störung des geordneten Zusammenwirkens der
Muskeln, wodurch das Zustandekommen einer zielgerichteten Bewegung gestört oder
aufgehoben ist. Anderer Ausdruck für Koordinationsstörung Gangataxie:
Breitbeiniger, schwankender, unsicherer Gang (wie betrunken).Standataxie:
Unfähigkeit, ohne Hilfe sicher zu stehen. Folge: Schwanken, Fallneigung nach
einer oder mehreren Richtungen, Umfallen. spinale Ataxie: infolge Schädigung
sensibler Bahnen im Rückenmark gelangen Informationen über Stellung der Gelenke
und Spannung der Muskulatur nicht mehr zur entsprechenden Zentrale des Gehirns.
Wegen dieses Informationsmangels werden Bewegungen nicht mehr steuerbar .
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