Paternalistisches Verhalten

also fürsorglich-fremdbestimmendes, Verhalten kann je nach Handlungssituation moralisch geboten, problematisch oder unzulässig sein. Das gilt auch für den Handlungsbereich der Psychiatrie, in dem paternalistische Patientenversorgung geradezu an der Tagesordnung ist. Neben viel diskutierten spektakulären Zwangsmaßnahmen (Unterbringung, Behandlung gegen den Patientenwillen, Fixierung oder Suizidintervention) können hierunter auch sanftere Manipulationen fallen, wie sie etwa bei der Vorgabe von Therapieoptionen oder -zielen, dem Strukturieren des Stationsalltags oder dem Ausüben eines ‚Rehabilitationsdruckes‘ zur Anwendung kommen mögen. Eine der Rechtfertigungen für paternalistisches Verhalten ist die aus kognitiven Einbußen oder affektiven Störungen resultierende „Inkompetenz“ des Adressaten, die in der in Rede stehenden Situation echte Autonomie ohnehin nicht zulassen würde. So unstrittig dieses Argument in seiner generellen Formulierung ist, so kontrovers sind doch die konzeptuellen Details von Inkompetenz – etwa wenn es um deren Aufgabensensitivität, um Risikorelativität, um die Bedeutung emotionaler Aspekte, um Ausprägungsgrade oder um das Verhältnis von Inkompetenz zu Rationalität oder Authentizität geht. Diesbezüglich unterschiedliche Auffassungen sind Ausdruck divergierender Vorstellungen dessen, was Autonomie ausmacht und moralisch auszeichnet, und sie können zu stark divergierenden Beurteilungen konkreter Fälle führen

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur