Präfrontaler Cortex

oder präfrontale Hirnrinde ist ein Teil des Stirnhirns und umfasst die Areas 9-12 sowie 13 und 14. Der präfrontale Cortex wird auch als neocorticaler Teil des limbischen Systems angesehen. Aufgrund seiner Verbindungen zum limbischen System wird er für die erlernte Kontrolle des angeborenen Verhaltens verantwortlich gemacht. Dort wird das Erlernen von Regeln gesteuert, es werden dort Problemlösestrategien erarbeitet und Argumentationen vorbereitet. Bei Schädigungen der präfrontalen Rinde ist die soziale Wahrnehmung eingeschränkt, die Patienten merken die diesbezüglichen Defizite im Gegensatz zu Gesunden auch nicht. (Linda Mah Am J Psychiatry 2004) Bei Läsionen des Stirnhirns zeigt sich kein Verlust der Intelligenz, jedoch aber eine Veränderung des Verhaltens bzw. der Persönlichkeit in die Richtung der Ungehemmtheit, Taktlosigkeit, Aggression oder dem Fehlen von festen Absichten oder planender Vorausschau. Betroffene haben Schwierigkeiten ihr Verhalten zu ändern, obwohl das unter gegebenen Umständen absolut notwendig wäre, so als würden bei der Konkurrenz von internen und externen Motivationen die internen überwiegen. Der präfrontale Cortex (PFC) im weiteren Sinne wird eingeteilt in einen dorsolateralen, dorsomedialen und einen orbitofrontalen, d.h. über den Augenhöhlen (Orbita) liegenden Teil. Der präfrontale Cortex ist bei Menschen an Prozessen der zeitlichen Sequenzierung von Handlungen beteiligt. Er ist verbunden mit den bewussten Komponenten des Ich-Gefühls und Charakters. Der dorsomediale Praefrontalkortex steuert die Motivation und beteiligt sich an der Einleitung von Handlungen. Läsionen dieses Hirngebietes äußern sich in mangelnder Aufmerksamkeit bis Apathie (‚Pseudodepression‘) und Antriebsschwäche. Der dorsolaterale PFC erhält in seinem dorsalen Teil corticale Eingänge vornehmlich aus dem hinteren Parietallappen und hat mit Bewegungen und räumlicher Strukturierung von Sinneswahrnehmungen zu tun sowie mit räumlicher Aufmerksamkeit (in Zusammenarbeit mit dem hinteren parietalen Cortex und dem cingulären Cortex). In seinem lateralen Teil erhält er Eingänge vornehmlich aus dem Temporallappen und befasst sich mit Objektwahrnehmung, dem Einschätzen gegenstands- und situationsbezogener Geschehnisse, mit kontextgerechtem Handeln und Sprechen und mit der Entwicklung von Zielvorstellungen. Er ist beteiligt beim Handlungsentwurf, der Initiative und der Handlungsvorbereitung als Reaktion auf einen signifikanten emotionalen Reiz. Er ist wesentlich am Arbeitsgedaechtnis (der Fähigkeit, wichtige Wahrnehmungsinhalte für einige Sekunden im Bewusstsein zu halten und sie geistig zu verarbeiten) beteiligt Durch Verbindungen mit dem motorischen Kortex und (indirekte) mit dem Thalamus reguliert der dorsolaterale Praefrontalkortex den Fluss motorischer Information; die oberen Regionen sind auf zeitlich-sequentielle, die unteren auf raeumliche Aufgaben spezialisiert. Läsionen des dorsolateralen PFC führen auch zur Unfähigkeit, die sachliche Relevanz externer Ereignisse einzuschätzen. Der orbitofrontale Cortex (OFC) erhält seine wichtigsten Eingänge von allocorticalen und subcorticalen limbischen Zentren, d.h. vom Gyrus cinguli, vom EPPC, von der Amygdala und vom mesolimbischen System, und befasst sich mit den motivationalen und emotionalen Aspekten von Situationen und Handlungen. Läsionen im kaudalen Teil des orbitofrontalen Kortex von Affen führen zu emotionalen Veränderungen wie z.B. einer verringerten Aggressivität. Lobotomien bei Gewalttätern und der erfolgreiche Ansatz bei chronischen Schmerzen mittels stereotaktischem Eingriffe zeigen, dass im OFC eine Schmerzdistanzierung und Aufhebung der emotionalen Qualität von Schmerzen gesteuert wird sowie bei Gewalttätern hemmende Mechanismen fehlen. Er erkennt sowohl exterozeptive (äußere) als auch interozeptive Information, unterstützt die Aufmerksamkeit auf ein Ziel und unterdrueckt störende (zusätzliche, ablenkende) Komponenten bei der Verhaltensausführung. Geruchs-und Geschmacksinformation wird im orbitalen Praefrontalhirn mit visueller zusammengefuehrt. Wahrscheinlich wird hier auch das Gefühl der Angst reguliert. Läsionen in diesem Bereich des Frontalhirns können kaum merkliche bis schwere Störungen von Verhalten und Persönlichkeit verursachen. Patienten mit Läsionen im orbitofrontalen Cortex sind unfähig, positive oder negative Konsequenzen ihrer Handlungen vorauszusehen, wenngleich unmittelbare Belohnung oder Bestrafung von Aktionen ihr weiteres Handeln beeinflussen können. Sie gehen wider besseres Wissen Risiken ein. Ebenso zeigen sie einen Hang zur „Perseveration“, also zum hartnäckigen Verharren bei einer Sache, und einen Verlust der Verhaltensspontaneität und Kreativität. Derartige Läsionen führen auch zum Verlust der Fähigkeit, den sozial-kommunikativen Kontext zu erfassen, z.B. die Bedeutung von Szenendarstellungen oder die Mimik von Gesichtern,. Allgemein verflacht die Persönlichkeit, der Patient wird völlig „unemotional“. Der orbitofrontale Cortex ist auch präfrontale Hirnrinde der „Sitz“ ethischer und moralischer Vorstellungen. Patienten mit Schädigung des orbitofrontalen Cortex in frühester Jugend zeigen ein schwer asoziales Verhalten, sie sind unerziehbar und unbelehrbar. Sie haben bei ihrem Verhalten auch keinerlei Gewissensbisse und zeigen keinerlei Einsicht in ihr Verhalten. Die Tatsache, dass sie in normaler Umgebung aufwuchsen, hatte keinerlei positive Wirkung auf ihr Verhalten. Im Fall der Schädigung des OFC im Erwachsenenalter besteht die Schwierigkeit der Betroffenen in der Umsetzung von Erfahrung in sozial angepasstes Verhalten, über das diese Patienten durchaus verfügen. Im Fall der Schädigung des OFC in frühester Jugend wird das Sammeln solcher Erfahrung völlig verhindert; es gibt also nichts, worauf sie in Entscheidungssituationen an unbewusster, impliziter „moralischer Anweisung“ hätten zurückgreifen können.Der praefrontale Cortex bezieht aus allen Wahrnehmungsqualitäten der Sinnesorgane Information und integriert diese laufend in Hinblick auf die aktuelle Situation.

 

Quellen / Literatur:

Linda Mah et al. Am J Psychiatry 161:1247-1255, July 2004 Wie das Gehirn die Seele macht, Prof.Dr.Dr. Gerhard Roth, Lindauer Psychotherapiewochen, Praefrontaler Cortex, Helmut Hinghofer-Szalkay 2000-2002 Der präfrontale Cortex (Lobus frontalis) Prof.Dr. Gerald Hüther, Die neurobiologische Verankerung von Erfahrungen und ihre Auswirkungen auf das spätere Verhalten, Vorträge 2001 im Internet: http://www.lptw.de/lptwdocs2001.html B.A. Strange, R.N.A. Henson, K.J. Friston, and R.J. Dolan, Anterior Prefrontal Cortex Mediates Rule Learning in Humans Cereb Cortex 2001 11: 1040-1046.Abstract] [Full Text] Fletcher P, Henson RNA (2001) Frontal lobes and human memory. Insights from functional neuroimaging. Brain 124:849–881 E. Koechlin, C. Ody, and F. Kouneiher The Architecture of Cognitive Control in the Human Prefrontal Cortex Science, November 14, 2003; 302(5648): 1181 – 1185. [Abstract] [Full Text] [PDF] G. Ganis, S.M. Kosslyn, S. Stose, W.L. Thompson, and D.A. Yurgelun-Todd Neural Correlates of Different Types of Deception: An fMRI Investigation Cereb Cortex, August 1, 2003; 13(8): 830 – 836. [Abstract] [Full Text] [PDF] M. P. Alexander, D. T. Stuss, and N. Fansabedian California Verbal Learning Test: performance by patients with focal frontal and non-frontal lesions Brain, June 1, 2003; 126(6): 1493 – 1503. [Abstract] [Full Text] [PDF] M. K. Johnson, C. L. Raye, K. J. Mitchell, E. J. Greene, and A. W. Anderson fMRI Evidence for an Organization of Prefrontal Cortex by Both Type of Process and Type of Information Cereb Cortex, March 1, 2003; 13(3): 265 – 273. [Abstract] [Full Text] [PDF] S. M. Daselaar, D. J. Veltman, S. A. R. B. Rombouts, J. G. W. Raaijmakers, and C. Jonker Neuroanatomical correlates of episodic encoding and retrieval in young and elderly subjects Brain, January 1, 2003; 126(1): 43 – 56. [Abstract] [Full Text] [PDF] A. E. Budson, A. L. Sullivan, E. Mayer, K. R. Daffner, P. M. Black, and D. L. Schacter Suppression of false recognition in Alzheimer’s disease and in patients with frontal lobe lesions Brain, December 1, 2002; 125(12): 2750 – 2765. [Abstract] [Full Text] [PDF] C. Van Petten, B. J. Luka, S. R. Rubin, and J. P. Ryan Frontal Brain Activity Predicts Individual Performance in an Associative Memory Exclusion Test Cereb Cortex, November 1, 2002; 12(11): 1180 – 1192. [Abstract] [Full Text] [PDF] A. Schnider, N. Valenza, S. Morand, and C. M. Michel Early Cortical Distinction between Memories that Pertain to Ongoing Reality and Memories that Don’t Cereb Cortex, January 1, 2002; 12(1): 54 – 61. [Abstract] [Full Text] [PDF] P. Shaw, J. Bramham, E. J. Lawrence, R. Morris, S. Baron-Cohen, and A. S. David Differential Effects of Lesions of the Amygdala and Prefrontal Cortex on Recognizing Facial Expressions of Complex Emotions J. Cogn. Neurosci., September 1, 2005; 17(9): 1410 – 1419. [Abstract] [Full Text] [PDF]

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur