Lokalisationslehre

beschreibt die Auffassung, dass für bestimmte Hirnfunktionen umschriebene Regionen des Gehirns verantwortlich sind. Bestimmte Hirnleistungen werden damit definierten Hirnregionen zugeordnet. Der Wiener Arzt Franz Joseph Gall (1758-1828) gilt mit seiner der seiner vierbändigen Schädellehre als Begründer der Lokalisationslehre. Er ordnete schon bestimmte Charaktereigenschaften bestimmten Hirngebieten zu, viele seiner Theorien gelten heute allerdings als absurd und widerlegt. Einen nächsten bedeutenden Schritt tat der Neurologe Broca (1824-1880), der motorische Aphasien (Sprachstörungen) nach der pathologischen Untersuchung eines Patienten einer Schädigung der pars opercularis der dritten linken Stirnhirnwindung zuordnen konnte. Bei einem anderen Patienten mit sensorischer Aphasie konnte Wernicke (1848-1905) dann ein „hinteres“ Sprachzentrum für die rezeptive Sprache nachweisen. Jackson (1834-1911) konnte 1884 bei einem Patienten anhand der Phänomenologie seiner Epileptischen Anfälle, die Lokalisation des Hirntumors korrekt voraussagen. Grundlage der Lokalisationslehre waren dann im 19. Jahrhundert die weiteren Beobachtungen von verschiedenen Neurologen, dass bei Hirnschädigungen an bestimmten Orten durch Unfälle oder Erkrankungen definierte Ausfallserscheinungen wie Lähmungen, Sprachstörungen, Hemianopsien, Gedächtnisstörungen, Prosopagnosien etc. auftreten. Beispiel ist, dass zentrale Lähmungen einer Körperhälfte ursächlich durch eine Schädigung motorischer Zentren auf der gegenseitigen Hirnhälfte zurückgehen. Einfache elementare motorische oder sensible Ausfallserscheinungen lassen sich dabei einfach eindeutig zuordnen. Die Zuordnung höherer geistiger Funktionen gestaltet sich schwieriger. Neuroanatomen wie Brodmann erstellten so Anfang des 20. Jahrhunderts Karten des Gehirns. Später waren Stimulationsexperimente und Hirnoperationen Grundlage der Weiterentwicklung dieser Theorie. In der moderneren Forschung spielen hier hauptsächlich fMRI (funktionelle Kernspintomographien) und intraoperative bzw. transkranielle Hirnstimulationen eine Rolle. (siehe bei den speziellen Krankheitsbilderung und Hirngebieten im Glossar). Häufig ist für eine Hirnfunktion nicht ein spezielles Gebiet, sondern ein System in dem verschiedene Hirngebiete zusammenarbeiten wesentlich. Da mit den neuen Methoden auch gesunde Menschen denen bestimmte Aufgaben gegeben werden oder die bei bestimmten Aufgaben untersucht werden können, lassen sich mit den neuen Methoden auch zunehmend komplexere Leistungen unseres Gehirns genauer den dabei aktiven Hirngebieten zuordnen. Schwierigkeiten entstehen u.a. dadurch, dass unser Gehirn flexibel ist und nach Hirnläsionen oder bei bestimmten Veranlagungen bestimmte Leistungen auch von anderen Hirngebieten übernommen werden können. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Überzeugungen, dass höhere geistige Funktionen des Menschen Funktionen des Gehirnes als Ganzes sind. Auch die Erkenntnis, dass bei bestimmten Leiden es sekundär auch zu (im Einzelfall reversiblen) pathologischen Überaktivitäten oder verminderten Aktivitäten bestimmter Gehirnareale kommt, die sich unter auch übender oder verhaltenstherapeutischer Behandlung zurückbilden ist den modernen Untersuchungsmethoden wie dem fMRI zu verdanken.

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur