False memory

Graduell und von unterschiedlichen Autoren unterschiedlich gewichtet ist die Unterscheidung zwischen falschen Überzeugungen und falschen Erinnerungen. Die Begriffe werden manchmal nur unscharf unterschieden. ‚Falsche autobiographische Erinnerungen sind definiert als Pseudo-Erinnerungen, oder Erinnerungen an Ereignisse, die nie stattgefunden haben, oder die völlig anders erinnert werden als sie stattgefunden haben. Wegen des negativen Tenors des Wortes wäre eventuell der Begriff Pseudoerinnerung sinnvoller. Dies auch, da den Betroffenen -jedenfalls meistens- nicht bewusst ist, dass ihre falsche Erinnerung falsch ist. Bei falschen Überzeugungen ist den Betroffenen in der Regel im Gegensatz zur falschen Erinnerung bewusst, dass sie keine Erinnerung an das Ereignis haben, aber dennoch der Überzeugung sind, dass das Ereignis stattgefunden hat- Die Konsequenzen können identisch sein.

Falsche Erinnerungen sind sind auch eine Normalität, die jeden von uns betrifft. Unser Gedächtnis ist kein Archiv unverfälschter Dokumente. Erinnerungen werden rückwirkend oft verzerrt durch zwischenzeitliche Informationen und unser aktuelles Wissen. Was, als wir es erlebt haben, wenig Bedeutung hatte und nur ungenau wahrgenommen oder beobachtet wurde, kann sich später als Wichtig herausstellen, dann haben wir ein Bedürfnis unsere Wahrnehmungen zu ergänzen. Im Gespräch in der Familie oder unter Gleichgesinnten passen wir unsere Erinnerungen an einander an. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele aus wissenschaftlichen Untersuchungen. Je weiter zurück eine Erinnerung liegt, umso mehr ist sie von anderen Informationen und Anpassungen an die Erinnerungen anderer mit geprägt. Bei jeder Wiedererinnerung wird die erneut abgespeicherte Erinnerung verändert. Das gemeinsam Ansehen eines Fotoalbums in der Familie ändert also in der Regel die Erinnerungen an die eigene Biographie. Dies muss nicht nachteilhaft sein und kann den Zusammenhalt in der Familie sogar fördern. Die meisten unserer Erinnerungen sind an sich nützliche Zusammenfassungen von tatsächlich erlebtem, aus den Medien entnommenem, und im Gespräch mit anderen Menschen veränderten Wahrnehmungen. Menschen mit hoher Suggestibilität verändern ihre Erinnerungen vermutlich deutlich schneller unter dem Einfluss wichtiger Bezugspersonen. Die Herkunft einer Erinnerung wird selten abgespeichert. Im Informations- und Medienzeitalter fällt es Zeitzeugen besonders oft schwer zwischen den gesehenen Fernsehbildern und dem selbst real erlebten zu unterscheiden. Hierzu gibt es Untersuchungen zu vielen Katastrophen und auch politischen Ereignissen wie den Leipziger Montagsdemonstrationen. Man nennt dieses häufige Phänomen Quellenverwechslungen. Wenn wir uns Situationen intensiv vorstellen, werden sie Teil unserer Erinnerungen, dies gilt oft auch für nicht erlebte sondern nur gehörte oder gelesene Situationen. Voreingenommenheiten und Vorurteile prägen was und wem wir glauben und steuern bereits die Auswahl im Wahrnehmungsprozess. Die meisten Menschen suchen beim Wahrnehmen wie beim Erinnern nach der Bestätigung ihrer Einstellung. Suggestivfragen sind nicht immer als solche zu erkennen und fließen als scheinbare Tatsachen in unser Gedächtnis mit ein. Falsche Nachinformation nach einer durchlebten Situation verändern die abgespeicherten Gedächtnisinhalte im Experiment. Viele Mechanismen führen also zu einer Überlagerung und Veränderung von bereits gespeicherten Informationen, anscheinend Unwesentliches wird unterdrückt. Diese Veränderungen sind meist ökonomisch und eine Arbeitserleichterung für unser Gehirn, sie machen uns weder per se nicht unglaubwürdig und verbessern unsere Funktionsfähigkeit in den meisten Fällen. Die hier genannte Mechanismen versucht nicht nur die Werbung oder so mancher Wahlkämpfer zu nutzen, auch Sekten, Ideologien und Diktaturen verwenden oft große Anstrengung an die Anpassung des Gedächtnisses ihrer Mitglieder an die Ziele der Gruppierung. (siehe auch M.C. Steffens)

Es gibt allgemein eine breiten Konsens unter Psychologen, dass unser episodisches Gedächtnis eine gewisser Kreativität hat, die auch zu Verfälschungen von Erinnerungen führen kann. Experimentell lassen sich falsche Erinnerungen beispielsweise durch von Außen später hinzu gegebene falsche oder nicht zutreffende Informationen erzeugen. Es gibt beispielsweise ein Experiment, bei dem man Menschen einen Film von einem Sturz gezeigt hat, bei dem kein Blut und keine Verletzung zu sehen war. Anschließend wurde von den Untersuchern beiläufig über die blutenden Verletzungen berichtet. Sehr viele Versuchspersonen berichteten darauf hin bei der Nacherzählung detailliert im Film verschiedene blutende Verletzungen selbst gesehen zu haben. Crombag et al. interviewten Holländer 10 Monate nach der Amsterdamer El Al Boeing 747 Flugzeugkatastrophe der 43 Personen zum Opfer fielen. Eine der Fragen war: Haben Sie den Fernsehbericht gesehen, in dem das Flugzeug in das Wohngebäude stürzte? – Es gab keinen solchen Bericht. Die Kameras kamen erst später, dennoch glaubten 60% der befragten Holländer den Bericht gesehen zu haben. In einer anderen Studie (James Ost et al.) waren 45% der Teilnehmer sicher einen nicht existierenden Film, in dem der tödliche Unfall von Prinzessin Diana in Paris direkt zu sehen sei, gesehen zu haben. Falsche Erinnerungen können vollständig bei lebhafter Phantasie erfunden sein, häufiger bestehen sie aus einer Teilrealität, hinzugefügten Phantasien sowie phantasmischen Umformungen. Sie erfüllen immer eine Funktion beim Betroffenen, auch dann wenn sie von außen induziert wurden. Oft dienen sie der Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts, dem Schutz vor eigenen Schuldgefühlen, dem Schutz wichtiger Beziehungen (auch zu Therapeuten), dem Erhalt des Selbstwertgefühls. Die Forschung lehrt, dass nur weil eine Erinnerung lebhaft erscheint, und nur weil eine Person selbst daran glaubt, und nur weil viele Emotionen ausgedrückt werden während die Erinnerung berichtet wird, bedeutet nicht dass was berichtet wurde wirklich passiert ist. (Can J Psychiatry 2005;50:823–828 PDF)

Am häufigsten wird der Begriff im Zusammenhang mit „Erinnerungen“ an eine vermutlich nichtstattgefundene Inzestsituation genannt. Das häufigere Problem nach schweren Traumen ist, dass diese nicht vergessen werden, und die Opfer ständig daran denken müssen. Es gibt aber auch die Fälle, in denen reale Erinnerungen verschüttet werden und erst später wieder auftauchen. Nicht jede aufgetauchte Erinnerung ist allerdings eine tatsächliche Erinnerung. Wenn der Ergeiz des Therapeuten die Mutter der Erinnerung ist, kann es sich um einen der (nach Meinung mancher Autoren häufigsten) psychotherapeutischen Kunstfehler handeln. Das Syndrom ist nicht selten die Ursache des False memory Syndroms – der falschen Erinnerungen – oder Trugerinnerungen- . Viele Familien sind dadurch zerstört worden. (In der Behandlung von Kindern wie Erwachsenen) Besonders hoch ist das Risiko der Produktion falscher Erinnerungen unter Einfluss eines Therapeuten bei Traumdeutungen, Hypnotherapien und anderen suggestiven Verfahren. „Hypnotherapie ist keine Methode, mit der verdrängte Kindheitstraumata aufgeklärt werden könnten, da hier die Gefahr von Fehlerinnerungen und induzierten Verzerrungen besteht.“(PP 5, Ausgabe Juni 2006, Seite 285) Bevorzugt gemeint sind mit dem Begriff nicht zutreffende und vom Therapeuten (oder Erzieherinnen, Lehrer etc.) induzierte Erinnerungen an eine sexuellen Missbrauch. Missbrauch des „Missbrauchs“ Sehr häufig werden nicht gerechtfertigte Missbrauchsvorwürfe in Scheidungsprozessen vorgebracht, nach manchen Veröffentlichungen sollen dies bis zu der Hälfte der entsprechenden Vorwürfe sein – die Zahlen gehen aber weit auseinander. Erinnerungen sind selektiv und vor allem durch therapeutische Suggestion sehr beeinflussbar. Hauptsächlich relevant ist dies beim Thema sexueller Missbrauch und „multiple Persönlichkeiten“. allerdings kann man „falsche Erinnerungen“ auch experimentell recht erfolgreich erzeugen. Mit einem gefälschten Foto gelang es in einem Experiment bei 50% der Betroffenen eine Erinnerung an eine Ballonfahrt als Kind zu induzieren. (Loftus, 2003) Manche falsche Erinnerung passt einfach zu aktuellen Titelgeschichten bei einer suggestiblen Persönlichkeit. Siehe auch False Memory Syndrome Foundation False Allegations – Child Abuse Eine wirklich sichere Unterscheidung zwischen tatsächlichen Erinnerungen und „false memory“ ist nicht möglich. Auch Betroffene wissen in der Regel zum Zeitpunkt ihres Berichtes nicht, dass es sich nicht um eine Tatsächliche Erinnerung sondern um eine Verfälschte oder „nur in der Vorstellung existierende“ Erinnerung handelt. Zahlreiche Menschen, die Jahre im Gefängnis verbrachten, bis sie über DNA Spuren als unschuldig bewiesen werden konnten, bezeugen, dass es auch für Gerichte durch viele Instanzen schwierig sein kann, falsche Erinnerungen von tatsächlichen zu unterschieden. Die Entstehung falscher Erinnerungen ist oft von Interessen geleitet. Psychotherapeuten suchen ehrgeizig eine Bestätigung ihrer Hypothesen und Theorien, Erzieherinnen sind nach oberflächlicher Fortbildung „einer heißen Sache“ auf der Spur, Medien profitieren von Skandalen, Konfliktparteien in Scheidungsprozessen nutzen öffentliche Kampagnen…. Kriterien zur Unterscheidung von Erinnerung und Pseudoerinnerung nach H. Stoffels, 1.)Art und Weise der Wiedererinnerung : Skepsis, wenn Erwartungsdruck und entsprechende Suche vorausgehen 2. Qualität der Wiedererinnerung : Skepsis, wenn diffuse Gefühle, Traumbilder und „Körpererinnerungen“ vorherrschen mit nachfolgendem visuellem Detailreichtum 3. Plausibilität des Vergessens: Skepsis, wenn Missbrauch in der späten Kindheit und Adoleszenz angeblich vergessen (verdrängt) wurde 4.1 Plausibilität des Erinnerns: Skepsis, wenn Erinnerungen an die Zeit vor dem 3. Lebensjahr angegeben werden. Falsche Erinnerungen schaden nicht nur vielen Unschuldigen, die als Täter beschuldigt werden und auch vielen Patienten, denen simplifizierte Erklärungen eingeredet werden aber keine wirkliche Hilfe angeboten wird, Falsche Erinnerungen schützen letztlich auch tatsächliche Täter da sie die Beurteilung der Glaubwürdigkeit auch von wirklichen Opfern erschweren. Im Gegensatz zur volkstümlichen Meinung sind Erinnerungen unter Hypnose nicht mehr, sondern weniger zuverlässig als übliche Erinnerungen. Diese Methode, taugt also keineswegs als Abkürzung zur Wahrheitsfindung. Auch tatsächliche Erinnerungen werden verfälscht, auch diese Kriterium taugt also zur Unterscheidung nicht. Williams LM.

Auch schwere Traumen wie sexueller Missbrauch können aber besonders, wenn sie jüngere Kinder betrafen aus der Erinnerung verschwinden, (und eventuell später wieder auftauchen). In einer Untersuchungsstichprobe hatte ein Viertel der Kinder, die im Alter von 7 bis 12 Jahren wegen Missbrauchs ärztlich behandelt worden war, diesen 20 Jahre später di anscheinend vergessen. Williams, LM. Journal of Consulting and Clinical Psychology, (1994) 62, 1167-1176.Insgesamt also ein schwieriges Gebiet und eine hohe Verantwortung bei der Wahrheitsfindung, nicht nur für Strafrechtsgutachter. Das Ausmaß der Beschuldigungen, die sich in jahrelangen Verfahren wie dem Wormser Kinderschänderprozess (24 Menschen wurden angeklagt, 15 Kinder missbraucht zu haben) in Luft auflösen erinnert an Hexenprozesse. Im Spiegel heißt es damals. „Einer „Wahnidee“ will man nicht gefolgt sein. In Kommentaren zum Urteil war viel davon die Rede, was den Kindern von den Freigesprochenen angetan worden ist. Was man den Kindern im Namen des Kinderschutzes angetan hat, wenn man Beschuldigungen in sie hineingefragt haben sollte, danach fragte niemand. „DER SPIEGEL 02/1997, Trotz Freispruch, nach dem Wormser Missbrauchsprozess bekommen die Eltern ihre Kinder nicht zurück. „ Ärztliche und psychologische Gutachter haben vorschnell sexuellen Missbrauch bestätigt, trotz Freispruch sind die Existenzen der Eltern und deren Gesundheit ruiniert. Der Schaden an den betroffenen Kindern dürfte nie wieder gut zu machen zu sein. Sie wurden nicht nur von übereifrigen Erziehern, Wildwasser und der Presse für deren Sensationslust missbraucht sondern möglicherweise direkt in die Hände eines tatsächlichen Kinderschänders getrieben. Zwischenzeitlich steht der damalige Hauptbelastungszeuge selbst unter dem Verdacht des Kindesmisbrauchs. Er hatte soweit bekannt, die Kinder auch gegenüber deren Vormund und Gutachtern abgeschirmt und möglicherweise darin bestärkt den Kontakt zu ihren Eltern auch nach dem Freispruch abzulehen (Panorama 14.2.2008). Dieser Kinderpflger hat bis heute 6 Kinder der damals freigesprochenen Eltern in seinem Spatzennest betreut. „S. habe während einer Ferienfreizeit im österreichischen Königswiesen im Juli und August 2007 in 17 Fällen an insgesamt sieben Mädchen im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren „Handlungen vorgenommen, die erheblich in die körperliche Integrität der Opfer eingriffen und nach unseren Recherchen ausschließlich sexuell motiviert waren.“ S. habe Mädchen im Genitalbereich gewaschen und eingecremt, teilweise auch gegen deren erklärten Willen. Mit einer Tube habe er bei einer Elfjährigen einen Darmeinlauf vorgenommen. S. stelle seine Handlungen als medizinische und hygienische Fürsorge dar und vertrete die Auffassung, dazu sei er als ausgebildeter Krankenpfleger befugt. Diese Sicht hält die Staatsanwaltschaft für „indiskutabel“. Wormser-Zeitung Missbrauch-in-worms Rheinpfalz.de FDP Worms Ob es sinnvoll ist, den Zeugen der Anklage bei Kindesmissbrauch in jedem Fall die Kinder zu überlassen, darf nach diesem Fall bezweifelt werden. Die Frage wie groß der Schaden durch den falschen Verdacht für die Kinder und Eltern war wird vermutlich nie endgültig beantwortet werden. Die Vergleichbarkeit mit Hexenprozessen des Mittelalters kann aber als gesichert gelten. Auf Konsequenzen im Jugendamt Worms darf man weiter warten. Zumindest derzeit besteht der Verdacht, dass in diesem peinlichen deutschen Justizskandal durch vorschnelle falsche Verdächtigungen die Kinder unschuldiger Eltern in die Hände eines tatsächlichen Kinderschänders getrieben wurden. Schier unbegreiflich erscheint uns heute, dass auch Kinder der Hexerei angeklagt wurden. Aber die Quellen lassen daran keinen Zweifel: seit dem Ende des 15. Jahrhunderts nahm die Zahl von Kindern, die als Mitglieder der Teufelssekte eingekerkert, verhört, gefoltert und hingerichtet wurden, ständig zu. Dahinter stand die Vorstellung der Hexenjäger, dass Hexeneltern ihre Kinder schon in jungen Jahren zum Hexensabbat mitnehmen, um sie dort dem Satan zu überantworten. Auf Kinder richtete sich die Aufmerksamkeit der Hexenjäger aber auch deshalb, weil sie unbedacht drauflos plauderten. So denunzierte ein 12jähriger Junge, der im Jahre 1665 im süddeutschen Reutlingen verhaftet worden war, im Laufe der Zeit 170 Menschen als Teufelsanbeter!“ Aus Die Geschichte der Hexenverbrennung. „Dieser Aktionismus ist leider typisch. Zuerst wird sicherheitshalber die Familie zerstört, weil jemand unqualifiziert eine Behauptung aufstellt. Die Schwere des behaupteten Vergehens ersetzt die Notwendigkeit des Beweises.

Wissenschaftliche Erkenntnisse schrecken wahre Memoryrecoverer unter den Psychotherapeuten nicht. Die Tatsache, dass es wissenschaftlich eindeutig ist, dass es keine eigenen Erinnerungen an das erste Lebensjahr gibt wird selbst dann, wenn dann noch alle objektiven Informationen gegen die Erinnerung sprechen, von manchen Therapeuten mit „Leichtigkeit“ bei Seite geschoben. Zitat aus einer Schrift eines Primärtherapeuten (unten auf der Seite): „Ein Primal, von dem mir ein Freund berichtete, beinhaltete, dass er vorzeitig von der Brust seiner Mutter genommen wurde, ehe er genug Milch gehabt hatte. Auf der Suche nach mehr Information kontaktierte er eine Tante, die ihn informierte, dass er immer ein mit der Flasche gefüttertes Baby gewesen war und aufgrund der Brusterkrankung seiner Mutter niemals gestillt worden war. Jedoch ist es vorstellbar und nicht unwahrscheinlich, dass seine Mutter wenigstens einen Versuch unternahm zu stillen. Also wäre dieses Beispiel nicht unbedingt eine falsche Erinnerung.“

Der Fall Wilkomirski – falsche Erinnerungen als Autobiographie, ein Lehrstück aus dem sich viel lernen lässt.

In den meisten Fällen falscher Erinnerungen ist eine öffentliche Diskussion für die Betroffenen und ihre Familien nicht zumutbar. Der entstandene Schaden würde sich für alle Betroffenen – vermeintliches Opfer, wie vermeintliche Täter- dadurch nur erheblich vergrößern. Wie oft bei falschen Anschuldigungen bleibt zumindest der Verdacht im Umfeld bestehen, dass doch etwas dran gewesen sein könnte. Für manchen ungerecht Beschuldigten ist der Schaden sogar geringer, wenn die vermeintliche Missetat zugegeben wird. Im Fall Wilkomirski besteht allerdings ein unzweifelhaftes öffentliches Interesse, das durch die Veröffentlichung der angeblichen Autobiographie und dann vor allem dem Umgang des Gedächtnisfälschers mit den Zweifeln und Zweiflern an seiner Tat gerechtfertigt ist. Trotz seiner Öffentlichkeit und der Besonderheit der angeblichen Traumatisierung, überwiegen andererseits die Ähnlichkeiten mit anderen Fällen. Dies macht den Fall Wilkomirski zu einem fast idealen Beispielfall. Dies gilt auch wenn B.D sehr spät dann sagte: “Es stand den Lesern meines Buches offen, es als Literatur zu lesen.” Auch in diesem außergewöhnlich öffentlichen Fall soll eine psychoanalytische Therapie eine Kindheit umgedichtet haben. Es handelte sich bei dem literarischen Werk um „eine Koproduktion des Autors mit seinem Analytiker, die für ihn wohl mit einem hohen Evidenzerleben einherging“ Psychiat Prax 2007; 34: 203-208 . Neben Psychologen sollen Freunde eine Ähnlichkeit zwischen ihm und einer polnischen Pianistin mit dem Namen „Wilkomirski“ festgestellt, er selbst war ja Instrumentenbauer (Atelier für Klarinettenbau) geworden, da passte das gut. Ermuntert durch Freunde und Psychotherapeuten soll sich dann die Wiederentdeckung verschütteter traumatischer Erinnerung gestaltet haben, bis er begann, sein Buch zu schreiben und an die angeblichen Stätten seiner Kindheit reisen. Die Geschichte wurde immer konkreter, er saugte die Holocaust-Literatur auf wie ein Schwamm. Fritz Bauer Institut 2000 Der Fall ist besonders interessant, weil er in vielen Details von Anfang an öffentlich war und bis heute Gegenstand von Veröffentlichungen zu diesem Thema ist. Falsche Erinnerungen lassen sich selten so detailiert nachlesen, die Täuschung eines Verlages, vieler Rezensenten, Fernsehdokumentateuren und die Identifikation tatsächlicher Opfer mit dem Fälscher machen die Schwierigkeiten echte von falschen Erinnerungen zu unterscheiden am Beispiel besonders deutlich. Dabei hätte die Detailiertheit an sich misstrauisch machen sollen. So gibt es eine Untersuchunge zu einer Stichprobe von ehemaligen KZ-Insassen, die unmittelbar nach ihrer Befreiung und dann noch einmal 40 Jahre später befragt wurden. Während sich alle an den KZ-Aufenthalt erinnerten, hatten sie bestimmte Misshandlungen und damit wichtige Einzelerlebnisse häufig komplett vergessen. (Zitat nach M.C. Steffens)

Der Umgang mit der Entlarvung in einer Strategie der Vorwärtsverteidigung ist ebenfalls beispielhaft- und für manches familiäre Opfer von angeblichen Opfern sicher auch erschreckend. Interessant ist nicht nur die Besprechung eine Buches am 12.1.1997 durch J. Salamon in der New York Times Zitat: Obwohl dieses Buch ein Kampf um Erinnerung ist, handelt es auch von der Verleugnung von Erinnerung. Nach dem Krieg wurde Benjamin von seinen Adoptiveltern und den Lehrern in der Schweiz befohlen, seine Erinnerungen zu vergessen, als ob das möglich wäre. Wir wissen nicht warum, was ihre Absichten waren, weil B. es nicht wusste. Er konnte nicht einmal begreifen, dass der Krieg vorbei war, dass er wirklich sicher war, bis er auf dem Gymnasium über den Holocaust unterrichtet wurde. Während seiner gesamten Kindheit blieb er immer wachsam bezüglich der Repressalien von Erwachsenen, und deren nicht vertrauenswürdigen Lebensgeschichten. Er erzählte niemanden über das zuhören, wie Erwachsene die Schädel von Babys zerschlugen, darüber, dass er Angst hatte nachts auf die Latrine zu gehen, weil die Kinder, die dort versehentlich Schmutz hinterließen am nächsten Tag verschwanden. ….. Als ihm in der Schule ein Bild des Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell gezeigt wurde und der Lehrer in bat das Bild zu beschreiben, und er sagte: „ich sehe einen SS Mann . . . und der schießt auf Kinder.“ Als dem Lehrer das erklären will, verbietet dieser ihm den Mund und sagt ihm: “Beende dein Gefasel.“ Die Schwere des behaupteten Vergehens, erlaubt hier ein negatives Pauschalurteil über den Rest der Gesellschaft, die selbstverständlich verlogen ist. Beweis ist alleine die behauptete Schwere der erlittenen Pein. Jede Kritik und jeder Zweifel ist zunächst ungeheuerlich, im Angesicht der erlittenen Qualen. Man sollte sich bewusst sein, dass solche Mechanismen nicht nur in diesem Einzelfall greifen und zunächst auch erfolgreich sind.

Erklärungen eines Autors, wie er zu seinen (nicht existenten) Holocaust- Erinnerungen gekommen sei: „Ich hoffte Antworten zu finden auf die Bilder, mit denen mich mein unvollständiges Kindergedächtnis manche Nächte nicht schlafen ließ oder mir schreckliche Alpträume bereitete. Ich wollte wissen, was andere Menschen damals erlebt hatten. Ich wollte vergleichen mit meinen eigenen frühesten Erinnerungen, die ich in mir trug. Ich wollte sie begreifen können mit meinem Verstand und sie einordnen in einen Zusammenhang, der Sinn ergab.“ Wenn diese Sätze zutreffend sind, dann bieten sie doch eine Erklärung. Die Suche nach dem Sinn, und der Ursache von gegenwärtigen oder vergangenen Symptomen stößt im durch subjektive Wahrnehmungen und Einordnungen geprägten menschlichen Gedächtnis an physische Grenzen und auf eine natürliche Voreingenommenheit. Letztere ist meist durch gegenwärtige Ziele geprägt. Wilkomirski oder Bruno Dössekker, bzw. Grosjean wehrte sich dann auch nicht untypisch gegen die Unterstützung dabei seine wahre Identität durch einen Vaterschaftstest zu klären: Es ist die gleiche Taktik, die in den fünfziger und sechziger Jahren von früheren Nazirichtern bei den Prozessen gegen die NS-Kriegsverbrechen gegenüber jüdischen Zeugen und Opfern angewendet wurde, indem man sie in endlose Diskussionen verstrickte, ob die Uniform eines Angeklagten grau-grün oder grün-grau war – nur, um den Zeugen in seiner Erinnerung zu verunsichern und zu demonstrieren, daß er nicht glaubwürdig sei! Das ist eine wirklich FASCHISTISCHE TECHNIK DER ARGUMENTATION. Ich kann sogar den Lärm von Goebbels Freudentänzen und Jubelschreien aus der Hölle hören!“ Zu seinem Buch schreibt B. W. im Juni 1995 Seite 142/3 (Erstausgabe) “Ich bin aufgewachsen und groß geworden in einer Zeit und in einer Gesellschaft, die nicht zuhören wollte oder konnte. » Kinder haben kein Gedächtnis, Kinder vergessen schnell, du mußt alles vergessen, alles war nur ein böser Traum« – so die stets wiederholten Worte, mit denen man mir meine Erinnerungen löschen, mich seit meiner Schulzeit zum Schweigen bringen wollte. So habe er dann jahrzehntelang geschwiegen, aber sein Gedächtnis sei nicht zu löschen gewesen. Nur selten habe er versucht zaghaft, wenigstens einen Bruchteil seiner Erinnerungen mit jemandem zu teilen, was aber stets mißlungen sei. Ein tippen­der Finger an die Stirn oder aggressive Gegenfragen hätten ihn rasch verstummen lassen und das Offenbarte wieder zurücknehmen lassen. “Wie einfach ist es doch, ein Kindergedächtnis zu verunsichern, ein Kind zum Schweigen zu bringen. Ich wollte meine Sicherheit wieder, und ich wollte nicht mehr schweigen. So begann ich zu schreiben”. ……………“Jahrelange Forschungsarbeit, viele Reisen zurück an die vermuteten Orte des Geschehens und unzählige Gespräche mit Spezialisten und Historikern haben mir geholfen, manche unerklärlichen Erinnerungsfetzen zu deuten, Orte und Menschen zu identifizieren, wiederzufinden und einen möglichen historischen Kontext wie auch eine mögliche, einigermaßen logische Chronologie herzustellen“. In Le Monde In der französischen Tageszeitung Le Monde äußerte sich Wilkomirski per Fax-Interview. Dort unterstellt er seinem Hauptankläger, dem Journalisten Daniel Ganzfried, persönliche Gründe für eine Abrechnung. Ganzfried, selber Kind eines Holocaust-Opfers, suche in ihm „eine Art Ersatzvater, den er zerstören und für seine eigene Not verantwortlich machen kann“. Quelle die Zeit 45 98 Auch hier hat er offensichtlich und vermutlich ganz bewusst versucht, seine aus Psychotherapien stammenden „Fertigkeiten“ dafür einzusetzen, andere unglaubwürdig zu machen.

Ob er wirklich eingebildete Erinnerungen und eine Sehnsucht, Opfer zu sein hatte, oder ganz materielle Interessen und die Sehnsucht groß herauszukommen, wer zu sein, die Hauptrolle spielten, wird offen bleiben. Am wahrscheinlichsten ist, dass aus einer bewusst erlebten Identitätsproblematik zunächst auch eine bewusste Suche nach einer „glorreichen Scheinidentität“ erfolgte. Es ist möglich, dass Herr D. in diesem Prozess irgendwann selbst anfing zu glauben er sei W. Unwahrscheinlich ist aber, dass er dabei nicht regelmäßig und bewusst das Wissen um die tatsächliche eigenen Identität unterdrücken musste. Ähnlich, wie manchmal beim sexuellen Missbrauch hat aber ein Trittbrettfahrer unter Ausnutzung der Einfältigkeit der Medienaufmerksamkeit den wirklichen Opfern großen Schaden zugefügt. Genützt hat er den verbliebenen Unverbesserlichen, in dem er den Leugnern des Holocaust Material geliefert hat, das die Nationalzeitung etc. gerne aufgegriffen hat. Er hat sich dabei sehr differenziert darum bemüht, seine eigene Glaubwürdigkeit, durch die Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zweifler zu untermauern. Die Vorgehensweise macht die Unterscheidung zwischen Opfern, Tätern und Trittbrettfahrern schwierig.

Ob Bruno Dössekker, weil er unehelich geboren wurde und zur Adoption freigegeben wurde, eine traumatische Kindheit hatte muss offen bleiben. Die Adoptionsfreigabe durch eine Frau die an den Folgen eines schweren Unfalls litt, in der damaligen Zeit kann auch der beste Schutz vor einer Traumatisierung eines ungewollten unehelichen Kindes zur damaligen Zeit gewesen sein. Er ist offensichtlich in wirtschaftlich gesicherten und relativ wohlhabenden Verhältnissen groß geworden. Ob es ungewöhnliche Traumatisierungen in seiner Kindheit gab, ist allermindestens offen. Die Intensität der im Buch dargestellten Emotionen gibt keine Auskunft darüber, ob der Autor wirklich traumatisiert wurde. Auch wenn man davon ausgehen würde, dass die Geschichte bewusst erfunden wurde, so würde die Identifikation mit der erfundenen Rolle beim Inhalt der Darstellungen im Buch alleine heftige Emotionen bei den meisten Menschen wecken. Wenn wir uns nun vorstellen, dass auch sein Analytiker angesichts des interessanten Falles mit jedem Detail freudig neugieriger geworden ist, und dass dieser vermutlich in der Zeit zumindest eine der wichtigsten Bezugspersonen war, so fällt die Vorstellung von einer Geschichte, die eine Eigendynamik entwickelt hat nicht mehr so schwer. 3-5 Stunden Psychoanalyse in der Woche, mit gedanklich ausschließlicher Beschäftigung mit der eigenen Person prägen auch den Rest der Woche. Dass B. D. vorgegeben hat ein Jude zu sein, im Ghetto und im Konzentrationslager gewesen zu sein und als „Überlebender“ damit traumatisiert worden zu sein, dass er in der Schweizer Gegenwart wegen der ungesühnten Mittäterschaft der Autoritätspersonen seine „wahren Erinnerungen“ verleugnen musste, hat ja nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt. Nach soviel öffentlichen Lügengeschichten, würde man sich für die Opfer tatsächlicher Traumatisierungen nicht nur eine Entschuldigung wünschen. Wünschen würde man sich eine gemeinsame öffentliche Aufarbeitung mit seinem quasi in Koproduktion mitarbeitenden Psychoanalytiker, in der die Entstehung dieser „falschen autobiographischen Erinnerungen“ offen dargestellt wird. Glauben würde man dieser Aufarbeitung sicherlich nur dann, wenn auch ein unabhängiger Dritter mit kritischer Distanz die Fakten dazu recherchiert hätte und darstellen würde. Dies würde insbesondere den Opfern solcher falschen autobiographischen Erinnerungen und vor allem auch deren Opfern, die ja auch B. D. zu schaffen bereit war, helfen zu verstehen. Vielleicht wäre es sogar eine Mithilfe bei der Verhinderung ähnlicher Fälle, die ja viel Leid anrichten können. B.D. und sein Analytiker könnten dann ja auch ein tatsächlich wertvolles autobiographisches Buch schreiben. Hierzu müssten beide aber die Opferrolle verlassen und zu ihrer eigenen Verantwortung stehen. Beide – sein Psychiater Bernstein und B.D. sollen ja im Zusammenhang mit dem Buch sich weltweit auf Fachkongressen präsentiert haben und eine „neue Methode der Erinnerungs- und Trauerarbeit“ als Variante der „Recovered Memory Therapy“ propagiert haben. Die Zusammenarbeit von Historikern und Psychologen sollte dabei die Glasglocke frühkindlicher Traumata zu lüften. Die Idee, das nicht den Psychotherapeuten zu überlassen sondern „Historiker“ vielleicht auch Kriminalisten dazu zu nehmen wäre ja nicht schlecht, würde man sie wirklich ernst nehmen und wäre da nicht der im Einzelfall nicht machbare Aufwand. siehe Schreibkraft.adm.at Die nachträgliche Deutung, dass B.D. doch eine traumatische Kindheit gehabt haben muss, damit er zu einer solchen Darstellung in der Lage war, stellt sich jedenfalls auf den ersten Blick auch als ein Selbstschutz der psychotherapeutischen Zunft dar. Dies kann nur den Sinn haben der eigenen psychotherapeutischen Vergangenheitsbewältigung auszuweichen. Falsche Erinnerungen schaffen fast immer Opfer, deren Traumatisierungen oft denen von Opfern schwerer Verbrechen sehr ähnlich sein können.

Das Buch war in mindestens 12 Sprachen übersetzt worden, auf den Salzburger Festspielen vorgetragen worden, erhielt hohe jüdische Literaturpreise, der Autor war mehrfach für andere Preise vorgeschlagen worden, es soll sich um das erfolgreichste Schweizer Buch seit Heidi gehandelt haben. Zumindest zeitweise war es das am meisten verkaufte Schweizer Buch. 1998 hielt Wilkomirski/Dössekker einen dann auch publizierten Vortrag im psychoanalytischen Seminar in Zürich. Als „therapeutische Grundhaltung“ empfiehlt er: „… der Therapeut (soll) die vom Klienten vorgetragenen Erinnerungen als Hinweis auf seine vergangene ,äußere Realität’ akzeptieren und ihn in seiner weiteren Erinnerungsarbeit unterstützen… Dabei muss der Therapeut dem Klienten zur Ermutigung immer wieder bestätigen, dass seine Erinnerungen als Bestandteile einer historischen Realität angehört und aufgenommen werden“ Werkblatt Der Vertrieb des Buches „Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939–1948“.wurde nach den Enthüllungen von Daniel Ganzfried und Stefan Mächler eingestellt. Die Vortragsreisen des Autors, und seine TV- Präsenz endeten. Dort hatte der Autor zu immer „detailierteren“ Erinnerungen gefunden. Wilkomirski behauptete zunächst, die offiziellen Schweizer Dokumente, die seine Autobiographischen Erinnerungen als gefälscht entlarvten, seien gefälscht. Nach seiner Verschwörungstheorie sollten bereits verstorbene Übeltäter dafür verantwortlich sein. An seine Verleger schrieb er es handle sich um eine vergiftete Atmosphäre von „totalitären Beurteilungen und Kritik“. Er kritisierte Holocausthistoriker die sein Werk angriffen, und bezweifelte deren Sachverstand in der Forschung über Kinder, die das KZ überlebten. (Quelle Holocaust Historiograhy Project) Das Buch ist bei Ebay und Amazon immer wieder zu haben. Meist ohne den Hinweis, dass es sich um eine der bekanntesten gefälschten Erinnerungen handelte. In den Amazon Bewertungen, wird auch der kritsche Hinweis eines Kunden auf die Fälschung schlechter bewertet als die Bewertungen, die von einer Authenzität ausgehen. Zumindest dort, scheint sich der Wille B.D. alias Wilkomirski zu glauben, wider die kritische Vernunft die Oberhand zu behalten.

Auch kühl und nüchtern analysierende, unvoreingenommene, normal begabte und um nichts als die Wahrheit bemühte Personen neigen dazu, den ausgesprochenen Missbrauchsverdacht fälschlicherweise zu bestätigen. Für die Opfer solcher Beschuldigungen führt dies im gesamten Umfeld zu einem„Schuldig bei Verdacht“ (S.Schulz-Hardt, E. Höfer & G Köhnken). Im Experiment in dem Versuchspersonen Videoaufnahmen von normalem Sportunterricht mit Vorschulkindern gezeigt wurde, glaubten 53% (!) der Probanden bei entspechender Vorinformation Verdächtiges gesehen zu haben, ohne die manipulative Vorinformation waren es immerhin auch schon 7%, das selbe Experiment mit einer harmlosen normalen Zaubervorstellung brachte 57% der Probanden dazu einen sexuellen Mißbrauch zu sehen. (S.Schulz-Hardt, E. Höfer & G Köhnken). Man muss sich dies übertragen auf einen unschuldigen Sportlehrer vorstellen, über den im Elternkreis so berichtet wird. Das Gerücht zeigt dann schnell Auswüchse. Dass im alltäglichen Smalltalk gerne übertrieben wird, kennen die meisten Menschen aus eigener Anschauung. Nach einer Emnid- Umfrage 9/2005 geben immerhin 19% zu, dass sie Geschichten gerne frisieren um sie interessanter zu machen, 45% bemerken ein solches Verhalten häufig im Freundeskreis. Man kann sich jedenfalls gut vorstellen, warum manche von solchen Gerüchten unschuldig betroffenen Menschen fluchtartig das Dorf verlassen haben. Auch wenn man davon ausgeht, dass tatsächlicher Kindesmissbrauch wesentlich häufiger ist, als psychotherapeutisch induzierte oder verstärkte falsche Erinnerungen daran, gibt es keinen Grund das Thema zu bagatellisieren oder zu verschweigen. Durch fehlgeleitete Erzieherinnen, Sozialarbeiter, Psychologen und Psychotherapeuten erzeugte Falsche Erinnerungen sind keine Seltenheit. Die Folgen von psychotherapeutisch induzierten oder verstärkten falsche Erinnerungen können ähnlich traumatisch sein, wie bei einem tatsächlichen Kindesmissbrauch. Dies gilt nicht nur für die oft sehr gravierenden Folgen bei den falsch Beschuldigten, sondern oft genug auch für die Folgen bei den Menschen, die selbst an ihre falschen Erinnerungen glauben. Die in diesem Fall oft vorhandene „psychotherapeutische Mittäterschaft“ bedarf daher der Diskussion und der Wachsamkeit. Die Möglichkeit falsche Erinnerungen psychotherapeutisch zu induzieren, ist nicht als leichter Kollateralschaden bei einer wichtigen Aufgabe anzusehen, sondern als eine Möglichkeit andere Menschen auf Dauer schwerst zu schädigen. Hier müssen Psychotherapeuten zu ihrer Mitverantwortung stehen. Dass auch das False memory Syndrom zur Relativierung von Aussagen tatsächlicher Opfern benutzt werden kann, bedeutet nicht, dass der Devise zu folgen wäre, dass je gravierender der Vorwurf umso mehr muss dem Opfer geglaubt werden. „Der Fall Wilkomirski belegt, dass die Mystifizierung des eigenen Ich durch eine Opferidentifikation nicht nur in einer psychotherapeutischen Behandlung provoziert wurde, sondern sich auch großer öffentlicher Aufmerksamkeit und Unterstützung gewiss sein kann. Auch dort, wo es um die therapeutische Bearbeitung realer seelischer Traumatisierungen geht (deren pathogene Bedeutung mit langfristigen Folgen früher unterschätzt wurde) spielen suggestive und autosuggestive Prozesse eine große Rolle. Sowohl die moderne Traumaforschung als auch die Psychotherapie stehen vor besonderen Herausforderungen.“ Der Nervenarzt 73, Number 2002 „Die Mystifizierung des eigenen Ich eine durch Opferidentifikation steht im Dienst verschiedenster, bewusster, vor- und unbewusster Interessen. Häufig geht es um narzisstische Bedürfnisse, die Abwehr von Schuld und Schuldgefühlen, und um die Weigerung, Verantwortung für das eigene Leben und seine Gestaltung zu übernehmen. Dies sind Themen, die in vielen Psychotherapien von Bedeutung sind“ Wilkomirsiki ist nicht alleine, nur eine Ausnahmeerscheinung in der Publizität. Der Sozialpsychologe H. Welzer befragte in einer Zufallsstichprobe Deutsche nach dem Verhalten ihrer Eltern und Großeltern in der Nazizeit. Er geriet an 2/3, die berichteten, die eigene Verwandtschaft sei entweder Opfer des Nazi-Regimes gewesen seien oder sogar Widerstandskämpfer gewesen. Glaubt man solchen Umfragen, war das Naziregime oder die DDR jeweils eine reine Opfergesellschaft.

Erinnerungen, die erst in Psychotherapien auftreten, entsprechen manchmal eher den Vorstellungen und Wünschen des Therapeuten als den tatsächlichen Erinnerungen einer Person. Dies trifft besonders dann zu, wenn Hypnose oder Techniken der Recovered-Memory-Therapie eingesetzt werden. Ein wirklicher Profit für die Patienten stellt sich in solchen Fällen fast nie ein. Statt dessen verlieren die Patienten nicht selten, den bis dahin oft einzig tragfähigen Rückhalt in der Familie. Der Zweck heiligt dabei keineswegs die Mittel. Es wird nicht nur kein erstrebenswertes Ziel erreicht, der „Kollateralschaden“ kann gravierender sein, als der auch nur denkbare Gewinn. Unabhängig vom Schaden für die Patienten ist auch der Schaden für „Beschuldigte“ oft gravierend. Eine wirkliche Rehabilitation ist bei solchen Beschuldigungen oft nicht mehr möglich, das persönliche Leben zerstört. Der Schaden ist dann genauso groß, wie bei tatsächlichen Missbrauchsopfern. Neben Psychotherapeuten sind auch die Medien zu einem nicht geringen Teil in der Verantwortung, der Montessori-Prozeß oder der Wormser Kinderschänderprozess wären vermutlich ohne das entsprechende Medienumfeld nie entstanden. Quellenamnesie nennt man den Vorgang bei dem eigene Erinnerungen mit Berichten aus Medien oder erzähltem gemischt werden. Zu Beginn ist dieses Aufpeppen der eigenen Geschichte meist bewusst, mit jedem Erzählen unterscheiden Menschen auch für sich weniger zwischen gehörtem und erlebtem, zwischen Erlebnissen vor dem Fernseher und in der Realität. Einmal von den Medien oder angestoßen durch tatsächliche Erlebnisse auf ein Thema fixiert, füllen sich manchmal die „autobiographischen“ Erinnerungsspeicher mit fremdem Material. Soziales Hypothesentesten verläuft unter bestimmten situativen Bedingungen konfirmatorisch, einmal im Verdacht suchen selbst kritische Menschen nach der Bestätigung der Hypothese, auch wenn sie nur erfunden ist. S.Schulz-Hardt, E. Höfer & G Köhnken. haben in ihren Experimenten eindrücklich gezeigt, dass solche Bedingungen beim Verdacht des sexuellen Kindesmißbrauchs vorliegen. Zitat: „Schuldig bei Verdacht“ – diese fatale Kopplung ist, im Kontext des potentiellen sexuellen Kindesmißbrauchs leider alles andere als ein Ausnahmefall“. Das Argument, dass alleine die Diskussion um falsche Erinnerungen pädophile Täter vor Gericht schütze ist absurd. Bei der Überführung von Tätern nach tatsächlichem Kindesmissbrauch dürften Polizei wie Gerichte selten auf Erinnerungen aus einer Psychotherapie angewiesen sein. Pädophilie ist nicht heilbar. Die meisten Täter, sind keine Einmaltäter. Bis ein erwachsener Patient bei seinem Therapeuten „seine Kindheitserinnerungen“ wiedergefunden hat, hat im Regelfall ein solcher Täter mehrere andere aktuelle nachweisbare ähnliche Straftaten begangen. Die Hälfte der Täter, die dieses Verhalten einstellt, war in der Regel bereits entdeckt und bestraft worden oder hat andere gravierende Sanktionen als Therapiemotivation erlebt. Wer die Berichterstattung über Strafverfahren studiert, wird zudem schnell herausfinden, dass Täter ihre Taten mit einer gewissen Regelmäßigkeit mit Traumatisierungen in ihrer Kindheit entschuldigen. Dies ist sicherlich auch sehr oft zutreffend. Vermutlich ist es aber auch in manchen Fällen in denen solche Berichte starfmildernd berücksichtigt werden eben nicht zutreffend. Überprüft wird es jedenfalls selten. Falsche Erinnerungen ließen sich auch im weiteren Verlauf der „Therapie“ während der Haft durchaus gewinnbringend nutzen.

 

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Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur