Hörsturz

von einem Hörsturz spricht man, wenn plötzlich (sich im Zeitraum von weniger als 72 Stunden aufbauend) eine Schallempfindungsschwerhörigkeit (Funktionsstörung des Innenohres) unklarer Ursache auftritt. Gemeint ist also eine Ohne erkennbare Ursache plötzlich auftretende, meist einseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit oder Ertaubung. Bei etwa 1% der Fälle eines „Hörsturzes“ findet sich eine “retrocochleare” (hinter dem Innenohr liegende) Ursache wie Akustikusneurionome, MS oder Schlaganfälle. 10- 15% der „Hörstürze“ haben ihre Ursache in einer derfinierten anderen Erkrankung wie dem Morbus Meniere, Traumata, Autoimmunkrankheiten, Neurosyphilis, Borreliose, oder einer Perilymphatischen Fistel. Zum vorübergehenden Hörsturz kommt es auch bei plötzlichen intracranialem Druckabfall nach Lumbalpunktion oder nach Hirnchirurgischen Eingriffen, meist mit sehr guter Prognose. Wenn eine dieser Ursachen bekannt ist, spricht man nicht mehr von einem Hörsturz, der Begriff ist an sich für die Fälle ohne fassbare Ursache reserviert, im englischen spricht man von einem „Idiopathic Sudden Sensorineural Hearing Loss“. Wenn die Ursachen für eine Schwerhörigkeit bekannt sind, spricht man also nicht mehr von einem Hörsturz. Entsprechend ist davon auszugehen, dass verschiedene Ursachen für das selbe Symptom vorhanden sind. ( vermutet werden z.B. Virusinfekte, andere entzündliche Reaktionen, Durchblutungsstörungen, Autoimmunkrankheit….).

Gleichzeitig mit einem Hörsturz können Ohrgeräusche (90 %) und/oder Druckgefühl im Ohr (50 %) und/oder Schwindel (30 % bzw. 28 – 57%) und/oder eine Diplakusis (15 %) bestehen. Ein beidseitiger Hörsturz ist äußerst ungewöhnlich und auch verdächtig auf eine funktionale oder dissoziative Störung, alternativ eine neurologische Ursachen wie eine neoplastische Inflltration der Hirnhäute der hinteren Schädelgrube, ein paraneoplastisches Syndrom, oder eine Enzephalitis); Auch das gleichzeitige Auftreten von anderen neurologischen Symptomen oder Hirnnervenausfällen weist auf eine Hirnerkrankung oder eine Entzündung an der Schädelbasis hin.

Die Inzidenz wird auf 5- 20/100 000 Personen pro Jahr geschätzt, wobei diese Schätzungen zu niedrig liegen könnten, die die Patienten bei denen sich die Symptome sehr rasch zurückbilden häufig nicht zum Arzt gehen. . Das typische Alter der Auftretens liegt zwischen 43 und 53 Jahren, wobei ein Hörsturz in jedem Alter auftreten kann, Männer und Frauen erkranken gleich häufig. Ein leichter Hörsturz wird oft übersehen, da ein Völlegefühl oder Druckgefühl im Ohr wie es beim Hörsturz die Regel ist oft von Patienten zunächst einer Erkältung, Allergie oder einer (ja auch häufig vorkommenden) Verstopfung des Gehörgangs mit Cerumen (Ohrenschmalz) zugeschrieben wird. Bei einem Völlegefühl oder Druckgefühl im Ohr und gleichzeitigen Tinnitus sollte daher überprüft werden, ob das Hörvermögen auf dem Ohr vermindert ist, was auf einen Hörsturz hinweist. Einen relativ guten Hinweis liefert die empfundene Hörminderung beim Telefonieren- wenn das Telefon an das betroffene und an das nicht betroffene Ohr gehalten wird und verglichen wird.

Obwohl sich in einigen wenigen Studien, die an selektierten Patienten gegen Placebo durchgeführt wurden, eine bemerkenswerte Spontanerholung des Hörsturzes zeigte, wissen wir noch viel zu wenig über den Verlauf unter einer Nulltherapie und langfristig danach. Die Angaben zur Spontanerholung streuen zudem zwischen 32 und 68%, so dass keine gesicherte Aussagen über die tatsächliche Höhe der erhofften Spontanheilung getroffen werden kann. Die Wahrscheinlichkeit einer Besserungi ist umso größer, je leichter ausgeprägt der Verlust an Hörvermögen ist. Ein liechter Hörsturz führt meist zu vollständiger Erhohlung, ein mäßig ausgeprägter Hörsturz bessert sich oft nicht vollständig und hat vermutlich eine höhere Besserungsrate unter Kortisonbehandlung, Ein schwerer Hörsturz bessert sich meist nicht vollständig, die Prognose wird verschlechtert wenn Drehschwindel vorhanden ist. l

Es ist vollkommen unklar, ob die Nichtdurchführung einer Behandlung in allen Fällen zu einem schlechteren Erfolg führt, oder möglicherweise eine höhere Rezidivquote die Folge ist. Dies ist die derzeitige Begründung für die Behandlung mit Infusionen ist wenig gesichert. Die Behandlung mit Kortison, ist leidlich in Studien abgesichert.

Die Vorstellung, dass Herz- Kreislauf-Risikoparameter gehäuft bei Hörsturzpatienten vorhanden sind wurde vielfach untersucht. Es wurde Nikotinabusus, Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes, Hypercholesterinämie für die Genese der kochleovestibulären Störungen große Bedeutung zugemessen. Auswertungen zeigen jedoch, dass diese für den Herzinfarkt oder Durchblutungsstörungen festgelegten Risikofaktoren nicht gehäuft bei Hörsturz- Patienten vorkommen. Ein dopplersonographischer oder angiographischer Nachweis von Durchblutungsstörungen steht aus, zumindest sind die diesbezüglichen Ergebnisse widersprüchlich, auch histologisch sind diese nicht nachgewiesen, bzw. allenfalls in Einzelfällen wahrscheinlich zu machen.

Acyclovir oder Valacyclovir haben keine nachgewiesene zusätzlich Wirkung, so dass eine Verursachung durch Herpesviren unwahrscheinlich ist. Studien mit systematischer Suche nach infektiösen Ursachen fanden eine solche nur in extrem seltenen Ausnahmefällen, deshalb wird allgemein empfohlen, nur bei konkreten Hinweisen nach einem Erreger zu suchen.

Die Wirksamkeit von Behandlungen ist entsprechend der nicht bekannten Ursache und der hohen Spontanheilungsrate schwer nachzuweisen, und möglicherweise auch oft nicht vorhanden. Ob ein Hörsturz notfallmäßig behandelt werden sollte, ist zumindest unklar. Die Studienlage für alle Behandlungen ist nur bedingt aussagekräftig. Je geringer die initiale Schwerhörigkeit umso besser die Prognose mit und ohne Behandlung, bei leichter Hörminderung ist die Prognose sehr gut. Bei schwerem Hörverlust mit bereits bei Auftreten an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit oder Taubheit ist die Prognose ungünstig. Wenn zusätzlich das Gleichgewichtsorgan gestört ist ist die Prognose ebenfalls ungünstig. Bereits initial vorhandener Tinnitus spricht möglicherweise für eine gute Prognose bezüglich des Hörvermögens. Die Rezidivhäufigkeit wird mit ca. 30% angeben. Die Spontanheilungsrate wird unterschiedlich angegeben, aktuell im Durchschnitt bei 50%, die Angaben schwanke aber zwischen 25 und über 80%.

Ob es sich bei einem Hörsturz um eine psychosomatische Erkrankung handeln könnte oder überhaupt dieses Leiden oder der Verlauf dieses Leidens wesentlich von Stress abhängig ist, ist nicht sicher bekannt. Es sind zwar einzelne Arbeiten bekannt (U. Lamparter: „Psychosomatische Aspekte beim Hörsturz“, in: Versicherungsmedizin 50 (1998) Heft 3, Schmitt C, et al. Stress and the onset of sudden hearing loss and tinnitus, Int Tinnitus J. 2000;6(1):41-9. Kroger F, et al. Coping with stress and self-awareness in idiopathic sudden deafness, Psychother Psychosom Med Psychol. 1996 Aug;46(8):298-303. Bernal Sprekelsen, Sudden deafness and stress. A retrospective analysis, Acta Otorrinolaringol Esp. 1990 Mar-Apr;41(2):93-5.) die davon ausgehen, dass Überlastung Hörstürze auslösen kann, diese Studien sind aber nicht so gestaltet, dass sie einen entsprechenden Nachweis erbringen würden. Als gesichert kann aus diesen Arbeiten heraus angesehen werden, dass Patienten häufig ihren Hörsturz als Folge von psychosozialen Belastungen und insbesondere als Folge von Stress bei der Arbeit ansehen, ob dies allerdings kausal der Fall ist, ist offen und nicht ausreichend geklärt.

Diskutiert wird ob Hörsturzpatienten schlechte Copingstrategien haben und körperliche Warnzeichen bei Überforderung „überhören“. Es sind auch keine aussagekräftigen Studien bekannt, die in irgendeiner Weise hinweisen würden, dass wie auch immer geartete psychotherapeutische Behandlung oder medikamentös-psychopharmakologische Behandlung die Rezidivhäufigkeit von Hörstürzen vermindern würde oder den Verlauf nach einem Hörsturz oder mehreren Hörstürzen verbessern würden.

Aktuell wird man bei einem Hörsturz ab mittelschweren Symptomen eine Kortisonbehandlung empfehlen. Gesichert ist auch diese Behandlung nach der Studienlage nicht- zu diesem Ergebnis kommen mehrere Reviews und Metaanalysen. Allerdings sind die Nebenwirkungen der kurzzeitigen Gabe auch gering. Bei relativen Kontraindikationen wie einem Diabetes kann die Abwägung schon anders aussehen. Die Empfehlungen gehen insgesamt auseinander und unterscheiden sich beispielsweise zwischen Deutschland und den USA, während in den USA Kortison favorisiert wird, wird in Deutschland eher die Kombination von Kortison mit Infusionsbehandlungen favorisiert. Auch für die Wirksamkeit der hyperbaren Sauerstoffbehandlung oder alternativer Heilverfahren ist in keiner Weise abgesichert. Insgesamt sind die meisten Experten der Meinung, dass ein Hörsturz behandelt werden sollte und die Behandlung die Symptome bessert. Wer einen Hörschaden zurückbehält sollte sein anderes Ohr schonen und laute Geräusche wie Diskos meiden bzw. dann einen Ohrschützer tragen. Auch andere Risiken wie Tauchen sollte man dann meiden. Es gibt bisher keinen Hinweis, dass nach einem Hörsturz auf einer Seite, das Risiko für diese Patienten größer ist auf dem anderen Ohr einen Hörsturz zu bekommen. Vermutlich beschleunigt eine verbliebene Hörminderung den alternsgemäßen Hörverlust im Alter, gesichert ist auch dies nicht. Angesichts der Häufigkeit des Hörsturzes werden aussagekräftige Studien zur Behandlung dringend erwartet.

 

Quellen / Literatur:

  1. Steven D. Rauch, Idiopathic Sudden Sensorineural Hearing Loss N Engl J Med 2008;359:833-40 FULL TEXT
  2. Conlin and Parnes Treatment of Sudden Sensorineural Hearing Loss: I. A Systematic Review Arch Otolaryngol Head Neck Surg 2007;133:573-581.ABSTRACT | FULL TEXT
  3. Leitlinien der Dt. Ges. f. Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde zum Hörsturz
  4. Gagnebin J, Maire R. Infection screening in sudden and progressive idiopathic sensorineural hearing loss: a retrospective study of 182 cases. Otol Neurotol. 2002 Mar;23(2):160-2.
  5. Huy PT, Sauvaget E. Idiopathic sudden sensorineural hearing loss is not an otologic emergency. Otol Neurotol. 2005 Sep;26(5):896-902.
  6. Slattery WH, Fisher LM, Iqbal Z, Liu N.Oral steroid regimens for idiopathic sudden sensorineural hearing loss. Otolaryngol Head Neck Surg. 2005 Jan;132(1):5-10.
  7. Slattery WH, Fisher LM, Iqbal Z, Friedman RA, Liu N. Intratympanic steroid injection for treatment of idiopathic sudden hearing loss. Otolaryngol Head Neck Surg. 2005 Aug;133(2):251-9.
  8. Tucci DL, Farmer JC Jr, Kitch RD, Witsell DL.Treatment of sudden sensorineural hearing loss with systemic steroids and valacyclovir. Otol Neurotol. 2002 May;23(3):301-8
  9. Van Prooyen-Keyzer S, Sadik JC, Ulanovski D, Parmantier M, Ayache D. Study of the posterior communicating arteries of the circle of willis in idiopathic sudden sensorineural hearing loss. Otol Neurotol. 2005 May;26(3):385-6.
  10. Marcucci R, Alessandrello Liotta A, Cellai AP, Rogolino A, Berloco P, Leprini E, Pagnini P, Abbate R, Prisco D. Cardiovascular and thrombophilic risk factors for idiopathic sudden sensorineural hearing loss. J Thromb Haemost. 2005 May;3(5):929-34.
  11. Merchant SN, Adams JC, Nadol JB Jr. Pathology and pathophysiology of idiopathic sudden sensorineural hearing loss. Otol Neurotol. 2005 Mar;26(2):151-60.
  12. Bennett MH, Kertesz T, Yeung P.Hyperbaric oxygen for idiopathic sudden sensorineural hearing loss and tinnitus. Cochrane Database Syst Rev. 2005 Jan 25;(1):CD004739. Review.
  13. Nageris BI, Ulanovski D, Attias J.Magnesium treatment for sudden hearing loss. Ann Otol Rhinol Laryngol. 2004 Aug;113(8):672-5.
  14. Ben-David J, Luntz M, Podoshin L, Sabo E, Fradis M. Vertigo as a prognostic sign in sudden sensorineural hearing loss. Int Tinnitus J. 2002;8(2):127-8.
  15. Ben-David J, Luntz M, Magamsa I, Fradis M, Sabo E, Podoshin L. Tinnitus as a prognostic sign in idiopathic sudden sensorineural hearing loss. Int Tinnitus J. 2001;7(1):62-4.
Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur