Latenzzeit bei Leistungstests

Der zunehmende Einsatz von Computern, auch in der Intelligenzdiagnostik, ermöglicht neben der Erfassung der Lösungsgüte u.a. auch die Erfassung der Latenzzeit (als die Dauer von der Darbietung des einzelnen Items bis zur Antwort des Testanden). Somit stellt sich die Frage nach deren diagnostischer Relevanz, zumal aufgrund der Testleistung das Latenzzeitverhalten nicht erschöpfend vorhergesagt werden kann. Aktuellere Analysen von Latenzzeiten bei der Bearbeitung von Reasoningitems ergaben, daß zum einen Falsch-Antworten später gegeben werden als Richtig-Antworten und zum anderen, daß leistungsstärkere Testanden insgesamt längere Latenzzeiten produzieren (genereller Effekt). Darüber hinaus unterscheidet sich das Latenzzeit-Verhältnis von Falsch- zu Richtig-Antworten i.S. eines differentiellen Effektes systematisch in Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit der Testanden. Leistungsschwächere scheinen vornehmlich ihre Falsch-Antworten (vor allem bei höher komplexen Items) schneller zu geben, als Leistungsstarke. Für die Richtig-Antworten lassen sich jedoch keine derartigen Unterschiede feststellen. An einer Stichprobe von N = 115 Schülerinnen und Schülern 9. Klassen ist der Frage nachgegangen worden, inwieweit sich das Latenzzeitverhalten bei der Bearbeitung von Figurenfolgen unter Lerntestbedingungen (Feedback, Hilfen und adaptive Itemsequenz) vom Latenzzeitverhalten unter Statustestbedingungen (traditionelle Intelligenztests) unterscheidet und inwieweit sich das Latenzzeitverhalten mit außerintellektuellen Merkmalen erklären läßt. Die Ergebnisse zeigen, daß das zumindest partiell schnellere Antworten der leistungsschwachen Testanden nicht als Ausdruck des kognitiven Stils Impulsivität/Reflexivität (AHA, Kubinger & Ebenhöh, 1996), der Prüfungsängstlichkeit (AFS, Wierczerkowski et al., 1974), der Selbstwirksamkeitserwartung (sensu Schwarzer, 1994) oder der Frustrationstoleranz (AHA) interpretiert werden kann. Somit wird die Erwartung aufrecht erhalten, daß mit Latenzzeiten in Reasoningtests potentiell ein weiterer Indikator für kognitive Prozeßbesonderheiten zur Verfügung steht.

 

Quellen / Literatur:

AFS, Wierczerkowski et al., 1974; AHA, Kubinger & Ebenhöh, 1996; sensu Schwarzer, 1994

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur