Tinnitus (Ohrgeräusche) – Mythen und Fakten

Machen Sie Ihren Tinnitus nicht zum Lebensmittelpunkt. Und ziehen Sie sich nicht zurück- Es wird dadurch garantiert schlimmer! „Überhören“ und „Weghören“ lässt sich lernen.

Häufigkeit eines Tinnitus und Auswirkungen auf die Lebensqualität

Die meisten Erwachsenen haben irgendwann in ihrem Leben zumindest vorübergehend einen Tinnitus. Etwa 17% leiden Studien zufolge an chronischen Ohrgeräuschen.  7% aller Erwachsenen war bereits wegen Ohrgeräuschen beim Arzt, bei vielen von ihnen haben sie zeitweise zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität geführt. 

Die meisten Betroffenen können mit ihrem Tinnitus gut leben. Nur 10 bis 15% der Betroffenen leiden unter ihrem Tinnitus, dies trifft bei etwa 12% aller Männer ab 65 zu, 0,5% der Erwachsenen sind durch einen hochgradigen Tinnitus schwer beeinträchtigt. Die anderen kommen gut mit ihm aus.

Tinnitus kommt in jedem Alter vor, auch bei Kindern. Die Häufigkeit nimmt aber mit dem Alter zu. Durchschnittlich gehen Menschen erst nach 5-8 Jahren wegen ihrem Tinnitus zum Arzt. 

Ist ein Tinnitus gefährlich?

Viele Menschen mit Tinnitus glauben, dass sie an einer schweren körperlichen Erkrankung leiden. Diese Annahme ist in der Regel falsch. Oft sind psychische / emotionale Faktoren Auslöser des Tinnitus. Die Zahl derer, bei denen ein Tinnitus nach einem emotionalen Ereignis oder einer Stress-Situation auftritt, ist sehr viel höher ist als die Zahl jener, die ein körperliches Ereignis nennen können. Manchmal breitet sich Tinnitus bei vorhandenen psychosozialen Stressoren „epidemisch“ beispielsweise am Arbeitsplatz aus.

Dennoch gibt es in seltenen Fällen auch (lebens-)gefährliche Ursachen eines Tinnitus, sodass neu aufgetretene Ohrengeräusche unbedingt ärztlich abgeklärt werden sollten.

Körperliche Ursachen eines Tinnitus

Während in der Mehrzahl der Fälle keine spezifische körperliche Ursache von Ohrgeräuschen festgestellt werden kann, so gibt es doch verschiedene körperliche Erkrankungen, die zu einem Tinnitus führen können. Man spricht in diesem Fall von einem objektiven Tinnitus, da eine objektive Ursache für die Ohrgeräusche festgestellt werden kann. Beim objektiven Tinnitus ist also tatsächlich eine Geräuschquelle vorhanden.

Mögliche Ursachen für einen pulsatilen (puls-synchronen) objektiven Tinnitus:

Mögliche Ursachen für einen nicht-pulsatilen objektiven Tinnitus:

  • Krämpfe der Gaumenmuskulatur (Palataler Myoklonus)
  • Krämpfe der kleinen Muskeln des Mittelohres (Spasmus des M. stapedius oder M. tensor tympani).
  • Ventilationsstörung der Eustachischen Röhre
  • Spontane otoakoustische Entladungen
  • In Einzelfällen können auch Insekten im Ohr für die Ohrgeräusche Verantwortlich sein, hierbei handelt es sich jedoch um seltene Ausnahmefälle, bei denen es dann oft auch zu Entzündungen des betroffenen Ohres kommt (z.B. dieser Bericht von Liu et al, 2017).
     

In diesen Fällen ist der Tinnitus also ein Symptom und keine Krankheit. Wenn keine Ursache für die Ohrgeräusche festzustellen ist, dann spricht man von einem idiopathischen Tinnitus. Dieser tritt in der Regel beidseitig auf. Bei einem streng einseitigen Tinnitus liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine körperliche Ursache vor.

Ursachen des subjektiven Tinnitus

Ist ein Tinnitus nicht Folge einer anderen Erkrankung, die objektiv Geräusche verursacht (siehe oben), dann spricht man von einem subjektiven Tinnitus. Das bedeutet nicht, dass die Betroffenen sich das Ohrgeräusch „nur einbilden“. Es bedeutet, dass die Ohrgeräusche innerhalb des Systems der auditiven Wahrnehmung selbst entstehen und nicht ein externes Geräusch, etwa das Strömungsgeräusch einer verengten Arterie, wahrgenommen wird.

Der subjektive Tinnitus entsteht also durch Selbstaktivierung des Hörsystems und von den Betroffenen als reales, oft störendes Geräusch empfunden wird.

Wo entsteht der Tinnitus? Im Ohr oder im Gehirn?

Genau wie jeder Tinnitus von der Lautstärke, Tonhöhe, Häufigkeit des Auftretens usw. verschieden ist, ist auch die Entstehung des (subjektiven) Tinnitus nicht einheitlich.

Letztlich können die Ohrgeräusche an zwei Orten entstehen:

  1. Im Innenohr: Durch Schädigung der Sinneszellen im Innenohr kommt es zum Verlust oder einer Einschränkung der Fähigkeit, bestimmte Frequenzen wahrzunehmen. Eine Theorie ist nun, dass das Gehirn den Ausfall dieser Sinneszellen („Haarzellen“) zu kompensieren versucht, indem es die Signale der geschädigten Sinneszellen verstärkt. Diese Verstärkung erfolgt über so genannt „nicht-linearer Rückkopplung“.

    Wird die Rückkopplung (unter dem Einfluss aktivierter Hirnteile, die für Emotionen zuständig sind), übermäßig stark, scheint es in der Hörrinde des Gehirns zur Überkompensation der Hörstörung (Hyperarousal mit Suche nach der hörbaren Gefahr) und damit zu einem Tinnitus zu kommen.

    Am ehesten kommt es daher zum Tinnitus, wenn akuter Stress zusammen mit einer zeitnah aufgetretenen Hörstörung zu einer (Über-)Aktivierung der Hörrinde im Gehirn führt. (Versuche von Langner et al.).

  2. Direkt im Gehirn: Der oben genannte Mechanismus scheint jedoch nicht der einzige zu sein, der zu einem Tinnitus führen kann. Auch nach kompletter Durchtrennung des Hörnerven kann es nämlich dennoch zu einem Tinnitus kommen. Bei diesen Menschen ist eine Empfindung, die aus einer Schädigung im Ohr resultiert nicht möglich. Es gibt also auch eine Gruppe von Menschen mit Ohrgeräuschen, bei denen das Problem offenbar direkt im Gehirn entsteht.

    Eine konkrete Ursache für diese Veränderungen der Hörwahrnehmung im Gehirn lässt sich häufig nicht nachweisen. Jedoch können auch spezifische Ereignisse, etwa eine Gehirnerschütterung durch einen Unfall, zu einem solchen „primären“ Tinnitus führen.

Wie klingt ein Tinnitus?

Das Wort Tinnitus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Klingeln, Geklingel“, abgeleitet vom Verb „tinnire“. Etwa 37% der Betroffenen hören dabei tatsächlich auch ein Klingeln, beschrieben sind aber alle Arten von Tönen über Surren, Zirpen, Hämmern, Klopfen Pfeifen, usw.

In einer Untersuchung gab ein Drittel der Befragten an, ihr Geräusch sei auf einer Lautheitsskala von 0-10 bei 8 oder höher. Die empfundene Lautheit korrespondiert allerdings nicht zwangsläufig mit der Beeinträchtigung (Stouffer et al 1990).

Tinnitus und Schwerhörigkeit – besteht ein Zusammenhang?

Ein Tinnitus geht oft mit einer Schwerhörigkeit einher. Hierfür sind vor allem zwei Gründe verantwortlich:

  1. Tinnitus und Hörverlust können die gleiche Ursacher haben. Werden z.B. Sinneszellen im Innenohr, die einen bestimmten Frequenzbereich abdecken, geschädigt, dann kann zum einen dieser Frequenzbereich nicht mehr bzw. nur noch schlechter wahrgenommen werden. Zum anderen kann es zu einer Spontanaktivität der zugehörigen neuronalen Strukturen kommen, sodass ein Tinnitus in eben diesem Frequenzbereich entsteht.
  2. Die Ohrgeräusche können die akustischen Wahrnehmungen überlagern, sodass diese für den Betroffenen schwieriger zu verstehen sind.

Liegt gleichzeitig mit dem Tinnitus oder durch den Tinnitus eine Schwerhörigkeit vor, dann sollte dies nochmals besonderen Anlass geben, den Tinnitus so gut wie möglich zu behandeln. Besonders im Alter ist Schwerhörigkeit nicht nur „nervig“, sondern führt erwiesenermaßen auch zu einem insgesamt schnelleren Abbau der geistigen und auch körperlichen Leistungsfähigkeit.

Tinnitus ist nicht physikalisch messbar, er wird nur vom betroffenen Menschen wahrgenommen. Es gibt bis heute keine Methode, mit der man objektiv bestimmen kann, ob jemand ein Ohrgeräusch hat oder wie laut dieses ist. Am ehesten ist dies noch durch wiederholte Messungen mit Vergleich der Tonhöhe die angegeben wird möglich.  

Wie beeinträchtigend ist ein Tinnitus?

Tinnitus Teufelskreis

Im Gegensatz zu häufigen Annahmen ist das Leiden am Tinnitus wenig davon abhängig, wie hoch oder wie laut der Ton ist. Die Beeinträchtigung durch den Tinnitus ist vor allem davon abhängig, wie die betroffene Person mit den Ohrgeräuschen umgeht, und zum anderen davon, welche Begleiterkrankungen bestehen.

Am größten ist die Beeinträchtigung durch den Tinnitus bei Menschen, die:

  • durch weitere Behinderungen in der körperlichen Beweglichkeit eingeschränkt sind
  • zuvor bereits unter Schlafstörungen litten
  • bei Schmerzpatienten
  • bei Menschen mit Depressionen, sozialer Isolierung oder anderen psychiatrischen Erkrankungen.

Die Behandlung dieser begleitenden Störungen bietet eine gute Aussicht auf eine Verminderung des Leidens am Tinnitus. 

Therapie des Tinnitus

Wenn spezifische Ursachen des Tinnitus ausgeschlossen wurden (siehe oben unter objektiver Tinnitus), es sich bei den Ohrgeräuschen also nicht um die Folge einer anderen Erkrankung handelt, dann kann sich die Behandlung des Tinnitus komplex gestalten.

Wichtigster Grundsatz ist:

Lassen Sie sich nicht zusätzlich verrückt machen. In den meisten Fällen findet sich keine Ursache, es handelt sich meist um ein harmloses, vorübergehendes Phänomen. Je ernster sie es nehmen um so schlimmer wird es.

Nach der Abklärung möglicher spezifischer Ursachen für die Ohrgeräusche ist die wichtigste Behandlung die umfassende Erklärung über die Tinnitusentstehung, Beratung und positive ärztliche Führung, um Ängste und Befürchtungen zu nehmen und eine phobische Weiterentwicklung und Hypersensitivität gegenüber Geräuschen zu verhindern.

Phobische Angst vor dem Tinnitus vermeiden

Die Cochlea oder das Innenohr ist ein sehr lauter Ort. Dort sind ständige mechanischen und elektrischen Aktivitäten der 17,000 Haarzellen (= Sinneszellen des Innenohres) vorhanden. Diese kann man heute auch mit moderner Technik darstellen.  Das bewusste Hören geschieht im Gehirn. Dort werden die elektrischen Impulse aus den 30000 Fasern des Hörnerven wahrgenommen und nach Vergleich mit gespeicherten oder erinnerten anderen akustischen Signalen interpretiert.

Das meiste was wir hören, sind Klangsequenzen wie bei der Sprache oder der Musik. Vom Säuglingsalter an legen wir eine Sammlung von Hörwahrnehmungen an, die uns später das Erkennen von Lauten erlaubt. Erst durch die Verbindung mit den Hörerinnerungen können wir wirklich hören und auch das Gehörte weiter verarbeiten, analysieren oder genießen. Erst im Gehirn kann so aus Geräuschen Sprache oder eine Melodie werden.

Geräusche sind enorm wichtig um unsere Umwelt wahrzunehmen und zu analysieren. Dabei stellt sich unser Gehör auf unsere Bedürfnisse ein. Bei Gefahr hören wir nicht nur besser, sondern hören auch mehr gefahrenspezifische Geräusche heraus. Tiere, die in ihrer natürlichen Umwelt besonderen Gefahren ausgesetzt sind, haben meist eine besonderes „Gehör“ dafür. Gefahrengeräusche lösen bei diesen Spezies dann auch sofort Angstsymptome und Überlebensreflexe aus. Wir reagieren genauso. Auf eine laute Hupe hin erschrecken wir und gehen sofort von der Straße den Schritt auf den Gehweg zurück.

Geräusche werden immer auf ihre emotionale Bedeutung untersucht und bewertet. Ob dies nun angenehm wie bei Musik, der Stimme von Freunden oder die Sicherheit gebenden Stimme der Mutter beim Kind ist, immer steht die Wahrnehmung in direkter Verbindung auch zur emotionalen Interpretation.

In Folge dieser Interpretation bilden wir Konditionierungen. Wie bei den Tieren in Gefahr ist es bei Tinnituspatienten so, dass weil sie im Tinnitus eine Gefahr oder Bedrohung sehen, sie ständig und sehr sensibel auf den Tinnitus hören. Wie bei einer Phobie versuchen sie dem Tinnitus aus dem Weg zu gehen. Letzteres lässt ihn meist intensiver werden. Es ist also eine Art Selbstschutz, der gegen das falsche Signal eingesetzt wird. Dies ist für Betroffene oft schwer nachvollziehbar. Der Ärger über die Vielzahl unwirksamer Behandlungen akzentuiert diese Schwierigkeit, das Problem zu verstehen. Manchmal befürchten Betroffene, nicht ernst genommen zu werden. Die Auskunft zunächst mit dem Tinnitus leben zu lernen, scheint zunächst schwer zu akzeptieren, scheint es doch wie eine Kapitulation und der Erfolg scheint nicht vorstellbar.

Stille vermeiden

Bei einem Versuchen, in denen Probanden ohne vorherige Tinnituserfahrung sich in einem schalltoten Raum aufhalten, nehmen fast alle normal hörenden Probanden nach jeweils 5 Minuten einen Tinnitus wahr, ohne zuvor jemals einen solchen gehabt zu haben.

Situationen, in denen der Tinnituskranke sich auf sein Ohrgeräusch konzentriert, führen nicht nur zu einer akuten psychischen Belastung, sondern sind auch in der Lage, den Kreislauf der Zentralisierung und damit den Tinnitus dauerhaft zu verstärken. Absolute Stille ist eine Situation, in der der Tinnituskranke seinem Ohrgeräusch nicht entweichen kann: dies führt erneut Energie in diesen Kreislauf ein.

Daher sollten Tinnituspatienten völlige Stille meiden. Ein angenehmes leises Hintergrundgeräusch sollte stets vorhanden sein, damit dieser Kreislauf nicht verstärkt wird.

Tinnitus Kreislauf

„Tinnitus-Retraining-Therapie“ und „Tinnitus-Bewältigungs-Therapie“

Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT) ist eine Form der akustischen Ablenkungs-Behandlung und gilt als wissenschaftlich fundierte Therapiemethode. Die Methode wurde von Prof. Jastreboff und Prof Hazell ( http://www.tinnitus.org ) entwickelt. Bei einigen Patienten erzielt sie sehr gute Effekte bei der Verminderung der Beeinträchtigung der Betroffenen durch den Tinnitus. Die Studienlage ist allerdings kontrovers und einige Studien zweifeln den zusätzlichen Nutzen der Retraining-Therapie gegenüber reiner kognitiver Verhaltenstherapie an (Scherer et al. 2019). Daher wird die reine TRT aktuell von den deutschen Fachgesellschaften nicht empfohlen, sondern es soll immer auch eine Verhaltenstherapie erfolgen. Für die Kombination aus TRT und kognitiver Verhaltenstherapie hat sich der Begriff „Tinnitus-Bewältigungs-Therapie“ etabliert.

Die Dauer der „Tinnitus-Bewältigungs-Therapie“ beträgt meist 15-18 Monate. Die (nicht unerheblichen) Kosten werden meist von den gesetzlichen Krankenversicherungen getragen, die Kostenübernahme sollte hier jedoch mit dem Versicherer abgeklärt werden.

Die 3 Hauptelemente der Tinnitus-Bewältigungs-Therapie sind:

  • Beratung und Aufklärung: Die Therapie beginnt mit einer Aufklärung und Beratung des Betroffenen über den Tinnitus und seine Mechanismen und Ursachen. Insbesondere wird den Teilnehmern vermittelt, dass Tinnitus keine Krankheit des Ohres ist, sondern eine Fehlverarbeitung von Hörimpulsen im Gehirn, die durchaus auch bewusst zu beeinflussen ist. „Wir hören mit dem Gehirn und nicht mit den Ohren.“

    In vielen Fällen muss den Betroffenen klar gemacht werden, dass auch die natürliche Umgebung keine absolute Stille bedeutet, nach der sich der von Tinnitus geplagte Mensch oft sehnt. Die Patienten werden angewiesen, die Beobachtung ihres Tinnitus, das In-sich-hinein- Hören, ob der Tinnitus noch da ist, vollständig zu unterlassen.

    Die Vermittlung dieser Zusammenhänge ist die entscheidende Grundlage der Therapie und unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg. Die weiteren Maßnahmen können nur erfolgreich eingesetzt werden, wenn der Patient die Grundlagen der Tinnituswahrnehmung und die Möglichkeiten der Kompensation durch Aktivierung der zentralen Filter unseres Hörsystems begriffen hat. Bei andauernden Ohrgeräusche ist das oberste Therapieziel, dem Tinnitus keine Aufmerksamkeit zu schenken. Man kann lernen, ihn einfach zu überhören. Man braucht  dafür Zeit und Geduld.

  • Hörtherapie: Hierbei wird dem Patient für mehrere Stunden täglich über einen so genannten „Tinnitus Noiser“ oder „Tinnitus Masker“, einem Gerät ähnlich einem Hörgerät, ein alternatives Geräusch geboten. Hierfür wird ein Geräusch gewählt, dass der Betroffene als angenehm empfindet, z.B. ein plätschernder Bach. Das Ziel ist hierbei nicht, den Tinnitus zu übertönen und lauter als der Tinnitus zu sein. Im Gegenteil, das Geräusch wird bewusst leiser als der Tinnitus gewählt. Sonst kann keine Gewöhnung (Habituation) an das als stöhrend empfundene Ohrgeräusch erreicht werden. Das akustische System soll wieder auf die normalen, nicht auf die störenden Ohrgeräusche fixierte Wahrnehmung zurücktrainiert werden. Die gedankliche Fixierung des Patienten auf den Tinnitus soll durchbrochen werden.

  • Verhaltenstherapie: Besonders bei Patienten, die durch den Tinnitus sehr schwer psychisch beeinträchtig sind („dekompensierter Tinnitus“) ist die kognitive Verhaltenstherapie ein wichtiges Element der Therapie. Sie wird in der Regel in Zusammenarbeit von HNO-Ärzten und ärztlichen Psychotherapeuten oder Psychologen durchgeführt. Tinnitus-Patienten sollen hierbei lernen, ihre schädlichen und den Tinnitus aufrechterhaltenden Gedanken selbständig zu identifizieren und zu verändern.

Personalisierte Musiktherapie

In den letzten Jahren hat die personalisierte Musiktherapie bei der Behandlung des Tinnitus an Bedeutung gewonnen und mit der Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz ist eine weitere Verbesserung dieses Therapieverfahrens durchaus möglich.

Bei der individuellen Musiktherapie wird zunächst der Tinnitus des Patienten genau analysiert hinsichtlich Art, Frequenz und Lautstärke des Ohrgeräusches. Es wird dann Schritt für Schritt ein „simulierter Tinnitussound“ erzeugt, der dem des Patienten möglichst nahe kommt.

Mit Hilfe von Simulationen und künstlicher Intelligenz wird nun Musik erzeugt, die in Lautstärke und Frequenz dem Tinnitus des Patienten entspricht, aber in entgegengesetzter Phase abgespielt wird, sodass durch die Superposition von Tinnitus und individualisierter Musik der Tinnitus „ausgelöscht“ werden soll.

Die Musik wird den Patienten über Kopfhörer in einer ansonsten geräuscharmen Umgebung für mindestens 2 Stunden täglich dargeboten. Ziel ist es, die Hirnareale, die für die Wahrnehmung des Tinnitus verantwortlich sind, gezielt in entgegengesetzte Richtung zu stimulieren.

Besonders bei Patienten mit stark beeinträchtigendem Tinnitus zeigen Studien teilweise vielversprechende Ergebnisse (Liu et al. 2023). Die Methode ist jedoch aktuell noch kontrovers und muss in weiteren Studien genauer evaluiert werden.

Infusionstherapie und medikamentöse Therapie

Für Infusionstherapien und andere medikamentöse Therapien gegen Tinnitus gibt es keine überzeugende wissenschaftliche Grundlage. Es gibt keine Belege für die Wirksamkeit solcher Behandlungen, sehr wohl aber für mögliche unerwünschte Wirkungen.

Große Studien haben gezeigt, dass verschiedene Substanzen, unter anderem Ginkgo-Extrakte, Zink, Melatonin, Cannabis, Steroide, Benzodiazepine, Antidepressiva und weitere Psychopharmaka zur Behandlung von chronischem Tinnitus nicht wirksam sind (z.B.: Hilton et al. 2013).

Auch für Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin- und Mineralstoffpräparate konnten Studien keine messbare Wirkung nachweisen.

Mythen und Fakten zum Tinnitus

MythosFakt
„Tinnitus ist ein Notfall“Es gibt keine wirksame Notfallbehandlung des Tinnitus
„Ohne Infusionen wird Tinnitus chronisch“Weit über 90% aller akuten Tinnitusfälle heilen aus, unter Behandlung mit z.B. einer Retraining-Therapie werden auch 80-90% aller chronischen Fälle deutlich besser. Viele Patienten mit akutem Tinnitus begeben sich in keine Behandlung und tauchen in keiner Statistik auf.  
„…ist eine Durchblutungsstörung“ Studien zeigen, dass Risikofaktoren für Durchblutungsstörungen wie Nikotinabusus, Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes, Hypercholesterinämie offenbar das Risiko für einen Tinnitus nicht signifikant erhöhen.
„…muss sofort mit Infusionen behandelt werden“Es gibt bisher keinen Nachweis, dass Infusionen oder andere durchblutungsfördernde Maßnahmen helfen. Hinweise auf langdauernde Nebenwirkungen liegen aber sehr wohl vor.
„Man muss durchblutungsfördernde Tabletten nehmen“Kein nachgewiesener Effekt (siehe oben)
„Ich habe etwas versäumt, weil ich nicht gleich zum Arzt ging.“Diese Aussage trifft nur in den allerseltensten Fällen zu. In den meisten Fällen heilt das Symptom von alleine aus. Akutbehandlungen sind selten wirksam.
„Chirotherapeutische oder Manualtherapeutische Manipulationen an der HWS helfen.“Veränderungen der Halswirbelsäule sind keine plausible Erklärung für einen Tinnitus. Überzeugend Studien, die eine Wirksamkeit von HWS- Manipulationen bei Tinnitus belegen, gibt es nicht.
„Stress fördert Tinnitus“Stimmt, Sorgen Sie für einen adäquaten Ausgleich und Entspannung. Übertriebene Schonung verschlimmert den Tinnitus aber ebenso wie Stress.
„Medikamente können Tinnitus auslösen.“Ja, viele Medikamente können dies nachweislich. Z.B.: Aspirin. Sehen sie auf die Beipackzettel und sprechen Sie mit Ihrem Arzt. Nicht immer sind sie schuld, das Zusammentreffen von Medikamenteneinnahme und Tinnitus kann auch zufällig sein. Meist ist medikamenteninduzierter Tinnitus reversibel. Hier muss einer sorgfältige Abwägung nach einer genauen Medikamentenanamnese erfolgen.