Logotherapie

(nach Wolfgang Sievers über die Frage nach dem Sinn innerhalb der Sozialarbeit am Beispiel der Arbeit mit Selbstmördern. )
Frankl sieht den heutigen Menschen von einem „abgründigen Sinnlosigkeitsgefühl bedrängt. Nicht in der sexuelle Frustration (Freud) oder im Minderwertigkeitsgefühl (Adler) sondern in der existentiellen Frustration sieht Frankl das Hauptproblem des Menschen in unserer Zeit. Er spricht davon, daß sich das „existentielle Vakuum“ immer mehr ausbreite. Das Zustandekommen dieses Vakuums erklärt er so: „Im Gegensatz zum Tier sagen dem Menschen keine Instinkte, was er muß; und dem Menschen von heute sagen keine Traditionen mehr, was er soll; und oft scheint er nicht mehr zu wissen, was er eigentlich will.“ Das existentielle Vakuum hat zur Folge, daß viele Menschen nur noch tun was andere tun (Konformismus) oder tun was andere wollen (Totalitarismus). Das Sinnlosigkeitsgefühl kann so stark werden, daß es pathogen wird. Frankl spricht dann von noogener Neurose. Er nimmt an, daß ca. 20% aller Neurosen noogen bedingt sind. Für den Anstieg des Sinnlosigkeitsgefühls macht Frankl den Reduktionismus unserer Tage verantwortlich. Das reduktionistische Menschenbild als Wurzel des Sinnlosigkeitsgefühls Frankl sieht drei Formen des Reduktionismus, den Biologismus, den Psychologismus und den Soziologismus. Er wirft allen drei „Ismen“ vor die gesamt-menschliche Wirklichkeit jeweils zu reduzieren auf Bios, Psyche oder Sozietät. Allen drei wirft er vor das für das Personsein des Menschen konstitutive Geistige zu leugnen. Er warnt dringlich davor einen Teilaspekt menschlicher Wirklichkeit zu verallgemeinern. „Frankl sieht den Reduktionismus als das Erbe des 19. Jahrhunderts: die Naturwissenschaft führte zum Naturalismus, die Technik, als deren Anwendung, vermittelte die utilitaristische Einstellung des Menschen; um seine Funktion innerhalb der Gesellschaft ging es, nicht aber um seine Würde. Der Mensch, das Naturwesen, wurde damit Mittel zum Zweck der Welt, die er sich mit Hilfe der Technik zu unterwerfen begann. Deshalb wurde er selbst zum Objekt. So kam es dazu, daß der als Naturwesen verstandene Mensch seine geistige Bestimmtheit und die Sicht für das mögliche Telos der Welt verlor.“ Frankl wirft in diesem Zusammenhang z.B. Freud vor genuin menschliche „Urphänomene“ zu „Epiphänomenen“ zu degradieren. So kann die Liebe zwischen Mann und Frau als „zielgehemmte Triebe“ gesehen werden, oder die Elternliebe wird als Narzismus bezeichnet, oder das Geistige im Menschen wird als bloßes Epiphänomen gesehen. Frankls vielleicht etwas überzogene Kritik am Reduktionismus ist zu verstehen als eine Warnung vor einem Menschenbild, das den Mensch aus sich selbst verstehen will. Die Anthropologie Frankls Frankl ist in seiner Anthropologie von Scheler beeinflußt. Scheler unterscheidet das Sein des Menschen in Leben und Geist. Das Leben ist dem psychophysischen Bereich zugeordnet, während der Geist gegenüber der psychophysischen Welt frei ist. Mittels des Geistes ist der Mensch, im Gegensatz zum Tier, in der Lage sich von seiner Umwelt zu distanzieren . Er kann sie zum Gegenstand seiner Anschauung machen. Die Umwelt und sein eigenes Psychophysikum kann der Mensch vergegenständlichen. Die geistige Person selbst ist gegenstandsunfähig. Sie kann nie Gegenstand eigener oder fremder Forschung sein, denn die geistige Person geht im Vollzug ihrer Akte auf. Auch in seiner Wertphilosophie ist Frankl von Scheler beeinflußt. Für Scheler sind Werte Urphänomene, die von den anderen Gegebenheiten nicht ableitbar sind, „sie haben apriorischen Charakter.“ Die Einheit des Menschen Nach Frankl hat der Mensch Anteil an drei verschiedenen Seinsbereichen: am physischen, am psychischen und am geistigen Sein. Während im physischen und psychischen Bereich das Kausalitätsprinzip gilt und keine Freiheit sondern Determination herrscht, ist für Frankl der geistige Bereich existentiell.107 Existentiell heißt hier, daß es sich nicht um ein faktisches sondern ein fakultatives Sein handelt, ein Sein, daß nicht determiniert ist wie das psycho-physische, sondern sich frei verhalten kann. „Existentiell ist dagegen das Geistige als das Nicht-Vorfindliche, Nicht-Tatsächliche, also auch nicht Objektivierbare, das nicht Erklärbare, wohl aber Verstehbare, das dem Menschen die Möglichkeit erschließt , sich ausrichten zu können auf Sinn und Werte.“ Nun stellt sich die Frage, wie Frankl die Trennung der unterschiedlichen Seinsbereiche im Menschen überwindet. Er versucht dies mit einem dimensionsontologischen Verständnis. Die Seinsbereiche sind nicht linear-parallel zueinander angeordnet, sondern im Modus der Dimensionalität auf einander bezogen. Länge und Breite eines Körpers bleiben auch wenn die Höhe hinzukommt. So verstanden verschmelzen Leib, Seele und Geist nicht zu einer Dimension, sondern alle drei Dimensionen machen die Ganzheit des Menschen aus. Existenz Die räumliche Einheit von Gegenständen ist eine „faktische“. Sie sind und bleiben eine Einheit, wenn sie nicht physisch zerstört werden. Die Einheit des Menschen dagegen ist eine „fakultative“. Denn die geistige Qualität ist eine besondere. „Geistiges Sein muß nicht sein, es kann sein, d.h.: Es ist nur, indem es sich vollzieht.“ 111 Vielleicht wird das Gemeinte deutlicher, wenn wir das Verb „existieren“ betrachten. Frankl übersetzt es mit: „aus sich selbst heraus- und sich selbst gegenübertreten.“112 Die geistige Dimension des Menschen bedarf eines Zieles, das außerhalb von ihm selbst liegt. So vollzieht sich existentielles Sein als „Selbsttranszendenz“ und zugleich als „Selbstdistanzierung“.113 Ein vollzogener geistiger Akt ist immer eine Antwort auf eine äußere Situation. Der Mensch hat die Freiheit auf die Situation zu antworten oder nicht. Tut er es, wird die eigentliche Dimension des menschlichen Seins verwirklicht, versagt er die Antwort, bleibt er hinter sich selbst zurück.So schafft der Geist Einheit in zwei Richtungen, einmal eint er Leib und Seele zu einem Menschen, und zugleich eint er den Menschen mit dem Sein überhaupt. Wenn Frankl auf diesem Hintergrund vom „Willen zum Sinn“ Spricht, meint er damit „die Sehnsucht des Menschen nach Einheit […] mit sich selbst, dem Du, der Welt, mit Gott. Der Wille zum Sinn ist der Wunsch des Menschen , die Zerrissenheit des Lebens zu überwinden – denn da, wo Beziehung, Einheit hergestellt ist, wird Sinn erfahren.“Die Geistigkeit des Menschen Logos bedeutet bei Frankl das „subjektiv Geistige“ und das „objektiv Geistige“. Frankl selbst übersetzt es auch mit „Sinn“ bzw. „Sinn und Wert“.116 Das subjektiv Geistige meint die Person, die sich auf die Welt des Sinnes und der Werte bezieht. Das objektiv Geistige, das ist die Welt des Sinnes und der Werte, auf die der Mensch ausgerichtet ist. Die subjektive Geistigkeit Insofern als sich eine Person auf die Welt des Sinnes und der Werte bezieht, sprechen wir von subjektiver Geistigkeit. Seiner Weltoffenheit verdankt es der Mensch, daß er nicht bei sich selber bleibt, sondern über sich hinaus handeln kann, er ist auf seine ihn umgebende Welt ausgerichtet. „Daß der Mensch in seiner geistigen Dimension ‚weltoffen‘ ist, heißt für Frankl, daß er ‚eigentlich oder zumindest ursprünglich über sich selbst hinaus nach etwas langt, daß nicht wieder er selbst ist, nämlich entweder nach einem Sinn, den zu erfüllen es gilt, oder nach einem Sein, dem zu begegnen oder zu lieben es gilt‘ „. Das unbewußt Geistige Neben der unbewußten Triebhaftigkeit (Freud) nimmt Frankl eine unbewußte Geistigkeit an. Unbewußt deshalb, weil der Mensch im Vollzug seiner geistigen Akte aufgeht. Die Geistigkeit entzieht sich jeder Selbst- und Fremdbeobachtung. Wie Freud sieht er die Grenzen zwischen Bewußtem und Unbewußtem als durchlässig an. Aber Triebhaftes und Geistiges trennt Frankl sehr scharf von einander, denn das Unbewußte ist für Frankl kein bedrohlicher Seinsbereich, sondern das geistig Unbewußte ist „die Quell- und Wurzelschicht aller be-wußten“ Geistigkeit. Im Rahmen des existenz-analytischen Menschenbildes zeigt sich der Mensch als ein Wesen, daß von unbewußter Geistigkeit getragen wird. Der Mensch wird eher durch das Emotionale, als das Intellektuelle und Rationale gekennzeichnet. Das Gewissen Das Gewissen ist für Frankl das Modell des unbewußt Geistigen. Als Funktion des geistig Unbewußten ist das Gewissen für Frankl der anthropologische Ort an dem wichtige Lebensentscheidungen getroffen werden. Frankl versteht den Gewissensentscheid nicht als rational-analytischen sondern als geistig-emotionalen Prozeß. Jede Gewissensentscheidung ist für Frankl irrational und prälogisch, denn der Mensch hat ein „vor-moralisches Verständnis“ von dem was er „eigentlich tun sollte“. Die Gewissensentscheidung ist „das Wahrnehmen des in der Tiefe des Geistes, d. h. im Gewissen ‚prälogisch‘ und ‚prämoralisch‘ Gewußten.“Das Gewissen ist der Ort, an dem die Entscheidung fällt, wofür der Mensch in der jetzigen Situation verantwortlich ist, welcher Wert aktuell zu verwirklichen ist. Verantwortung trägt der Mensch vor seinem Gewissen oder der religiöse Mensch vor Gott. Denn für Frankl ist das Gewissen „Meldestelle des Transzendenten“. Im letzten, so Frankl, sind wir Gott verantwortlich. Freiheit Das wesentliche der geistigen Person ist seine Freiheit. So schränken die Triebe, die Anlagen und die Umwelt den Menschen zwar ein, aber er ist ihnen nicht ausgeliefert, er kann sich zu ihnen verhalten. Für das, was dem Menschen mitgegeben ist, ist er nicht verantwortlich. Doch für sein Verhalten gegenüber den Bedingtheiten muß er Verantwortung übernehmen. „Letzten Endes wird menschliches Verhalten jedenfalls nicht von Bedingungen diktiert, die der Mensch antrifft, sondern von Entscheidungen, die er trifft.“Diese Freiheit gegenüber den Bedingtheiten postuliert Frankl auch für Neurotiker und Psychotiker. Beweisen – im naturwissenschaftlichen Sinn – kann Frankl seine These vom freien Verhalten gegenüber den Bedingtheiten nicht. „Selbstverständlich ließe sich einwenden, daß diese Entscheidung selber und ihrerseits irgendwie bedingt ist. Ebenso selbstverständlich ist aber auch, daß dies zu einem Regressus in infinitum führen würde.“ Und so stimmt er Magda B. Arnold zu , die sagt, daß „alle Entscheidungen verursacht sind, aber verursacht durch den, der sie trifft.“Frankl geht auch davon aus, daß durch eine somatische oder psychische Krankheit die geistige Person zwar erkranken sie aber nie zerstört werden kann. Frankl spricht vom „Fortbestehen der geistigen Person“auch hinter der Symptomatik psychotischer Erkrankungen. Die Krankheit kann allerdings den Blick auf die bestehende geistige Person versperren. Der Geist kann nicht erkranken. Die Würde eines jeden Menschen bleibt immer. Verantwortung Die Freiheit des Menschen ist eingeschränkt durch biologische, psychische und soziologische Bedingtheiten, auch der Logos schränkt ein, denn „Freiheit ist stets und primär ein Freisein zum Verantwortlich sein.“ Freiheit ist nicht allein ein frei-sein-von, sondern insbesondere ein frei-sein-für. „Verantwortlich ist der Mensch nun für die Erfüllung und Verwirklichung von Sinn und Werten, und hierin erblicken wir das objektive Korrelat aller Entscheidung und Freiheit: in einer objektiv geistigen Welt des Sinns und der Werte – im Logos.“Frankl wendet sich gegen einen Existentialismus Sartrescher Prägung und der von ihm geprägten Psychologie, der einseitig die Freiheit des Menschen betont. Für dieses Denken ist die Welt der subjektive Entwurf einer subjektiven Welt, während Frankl von einer Objektivität und absoluten Gültigkeit der Werte spricht. Der Wille zum Sinn Wie wir weiter oben schon gesehen haben, wird der Mensch aus der Sicht der Existenzanalyse nicht hauptsächlich von Lust, Macht oder Selbstverwirklichung umgetrieben, sondern von einem „Willen zum Sinn“. Diesem Willen geht es um Sinnerfüllung. Für Frankl steht fest: der Mensch will nicht „dasein um jeden Preis“; was er „wirklich will, ist: sinnvoll sein“.135 Man kann Sinn nicht wollen. Sinn erfüllt sich nur, wenn er ein Objekt findet. Der Wille zum Sinn hat einen intentionalen Charakter.Frankls motivationstheoretisches Konzept wird von diversen Forschungsarbeiten untermauert, die zu dem Schluß kommen „der Wille zum Sinn sei ein anthropologisches Motiv sui generis“. Doch alle Untersuchungen gehen von der Anerkennung des Noetischen aus. Das Noetische muß als ontologische Gegebenheit genommen, es muß geglaubt werden. (Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Kants Postulate der praktischen Vernunft.) Der Sinnwille ist auf den Logos ausgerichtet. „Das Leben (in diesem Zusammenhang gleichbedeutend mit Logos, Anm. v. Verf.) selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten – das Leben zu ver-antworten hat.“ So verstanden ist der Mensch „Sinnempfänger“ und das Leben hat „Aufgabencharakter“. Verantwortung und Sinn gilt „ad personam et situationem“ . Der Sinn ist konkret in Bezug auf die Einmaligkeit der Situation und der Einzigartigkeit der Person. Eine Konsequenz des Franklschen Menschenbildes ist es, daß grundsätzlich jeder Mensch sinnvoll leben kann. Selbstmord ist für Frankl niemals gerechtfertigt. Die objektive Geistigkeit oder die objektive Welt des Sinnes und der Werte Der Sinn ist subjektiv insofern es für jeden einen anderen Sinn gibt, aber gegen Subjektivismus und Relativismus behauptet Frankl einen objektiven Sinn der „nicht bloß Ausdruck und Spiegelbild meines Seins“142 ist. Frankl postuliert eine Welt des Sinnes und der Werte, die objektive Geltung hat. Frankl spricht von Sinnfindung. Jeder einzelne Mensch hat die Aufgabe seinen Sinn zu entdecken und nicht sich einen Sinn zu geben. Er ist schon da. Sinn ist dabei nicht allgemein sondern sehr konkret für den einzelnen zu verstehen. Sinn gibt es nur „ad personam et situationem“ .Wert und Sinn Im Logosbegriff sind für Frankl der Wert- und der Sinnbegriff enthalten. Während der Sinn persongebunden und situationsbezogen ist, haben die Werte allgemeine Bedeutung. In einer konkreten Situation muß ich eine Wertentscheidung treffen. Mit der Entscheidung wird der Wert für mich zum Sinn. „Der Sinn ist der jeweilige Wert ‚pro me‘.“ Selbstverwirklichung Selbstverwirklichung bedeutet im Franklschen Sinne nicht ein Ausleben meiner inneren Möglichkeiten, sondern ein Leben, das bezogen ist auf meine Möglichkeiten und das mich anfragende Leben. Erst in der Antwort auf die Fragen, die das Leben mir stellt, finde ich mich selbst. Der Übersinn Soll Sinnfindung für den Menschen möglich sein, so muß es nach Frankl einen „Sinn des Ganzen“ geben. Diesen versucht Frankl mit dem Begriff des „Übersinns“ zu fassen. Dieser Übersinn, von dem der individuelle Sinn ableitbar ist, kann nicht bewiesen werden, sondern muß geglaubt werden. Frankl geht es in seinen Überlegungen aber nicht um eine Sinndeutung des Weltganzen, dies hält er für unmöglich, auch fragt er nicht nach dem Sinn von Sein. Er postuliert, „daß Sinnfindung in der Welt des Menschen möglich ist auf Grund der Sinngebung durch die seine Welt umgreifende ‚Über-Welt'“. Frankl setzt das „Daß“ der Sinnhaftigkeit menschlicher Existenz voraus. Der Übersinn muß geglaubt werden.150 Für Frankl ist der Übersinn an die Überperson, Gott, gebunden. Der unbewußte Gott Frankl sagt, daß jeder Mensch eine Beziehung zu Gott habe und sei sie unbewußt, nämlich verdrängt. „In einer existensanalytischen Traumanalyse, sie sich primär auf das unbewußt Geistige konzentriert, begegnet Frankl selbst bei atheistisch und nicht-religiös sich verstehenden Menschen dem Phänomen der unbewußten Gottbezogenheit.“ Frankl spricht von einer unbewußten intentionalen Beziehung zu Gott, die jedem Menschen zu eigen ist. Frankl sieht das Religiöse nicht wie C.G. Jung im Es als archetypisches Phänomen angesiedelt, sondern im unbewußt Geistigen verwurzelt, „zu Gott wird der Mensch nicht getrieben, er kann sich vielmehr für oder gegen ihn entscheiden.“ Dem religiösen Menschen spricht Frankl einer tiefere Sinnfindung zu, als dem nicht-religiösen. Denn ersterer fragt, wenn er nach Sinn fragt, zugleich nach dem Auftraggeber des Lebens, nach Gott. Der nicht-religiöse Mensch weiß sich nur seinem Gewissen verantwortlich, nicht aber Gott. Trotzdem bleibt er für Frankl mit der Frage nach dem Sinn unbewußt auf Gott bezogen. Nur aus diesem Grunde ist es ihm überhaupt möglich nach Sinn zu fragen, aber er bleibt bei seiner Wegsuche auf dem Vorgipfel stehen. Frankl verhandelt das Thema Religiösität „weil er es phänomenologisch als ein spezifisch humanes Phänomen erkennt … und dazu gehört, nach seiner Sicht, der Aufweis des Seins Gottes. Mit diesem Aufweis sieht er allerdings die Grenze seiner Aussagemöglichkeiten erreicht.“ Relativität und Objektivität der Werte Für Frankl haben Werte objektive Gültigkeit, denn sie sind einer „objektiv geistigen Welt“ zugeordnet. Die Werte selbst verändern sich nicht, wie Frankl im Anschluß an Scheler sagt, aber die Erkenntnis von ihnen, der Mensch tritt in ein immer wieder neues Verhältnis zu den Werten. Die drei Wertkategorien Frankl unterscheidet drei Wertkategorien. a) Schöpferische Werte: Das Arbeiten des Menschen, sein Schaffen kann Sinn geben. b) Erlebniswerte: Diese Werte zeigen sich in der Aufnahme der Welt, im Erleben von Natur oder Kunst. c) Einstellungswerte: Kann ein Mensch z.B. auf Grund einer Krankheit die ersten beiden Formen von Werten nicht mehr verwirklichen, kann er für Frankl zur höchsten Form der Wertverwirklichung gelangen, indem er sich von sich selbst distanziert und über sich hinaus auf den Sinngrund verweist. Er geht um die personale Auseinandersetzung mit einem irreversiblen Schicksal. Frankl möchte Menschen zur Bejahung und Annahme von Leiden führen, welches nicht mehr anwendbar ist. „Die Einbeziehung dieser letzten Wertkategorie hat zur Folge, ‚daß die menschliche Existenz eigentlich niemals wirklich sinnlos werden kann: das Leben des Menschen behält seinen Sinn bis in ultimis‘.“ Die LOGOTHERAPIE Ziel einer jeden Logotherapie ist „die Wiederbewußtmachung von Freiheit und Verantwortlichkeit.“Frankl sieht die Logotherapie als die spezifische Therapieform bei soziogenen und noogenen Neurosen. Für psychogene Neurosen sieht er sie als Ergänzung. Die soziogene Neurose Frankl versteht darunter eine „existentielle Frustration“, die gekennzeichnet ist durch ein „Fehlen von Interesse“, einen „Mangel an Initiative“ und „Langeweile“. Frankl führt dies existentielle Vakuum auf eine „Flucht vor der Verantwortung und Scheu vor der Freiheit“ zurück. Als Therapie versucht Frankl die Aufdeckung des gelehrten Nihilismus und seines reduktionistischen Menschenbildes.Die noogene Neurose Wenn eine Neurose ätiologisch in einem geistigen Problem, einem sittlichen Konflikt gründet, spricht Frankl von noogener Neurose. Dies ist aber keine Erkrankung des Geistes, der Geist kann für Frankl nicht erkranken, sondern eine Erkrankung aus dem Geist heraus, die den Menschen in seiner Ganzheit und Ein-heit, also auch den psychophysischen Bereich, umgreift. Frankl sieht in der noogenen Neurose das Problem eines Wertekonfliktes. „Einerseits leistet er nicht Verzicht auf den einen Wert zugunsten des durch die Situation gegebenen anderen, ‚höheren‘ Wertes und entzieht sich damit der Freiheit zur verantwortlichen Realisierung des ‚objektives‘ Wertes, andererseits jedoch verschließt er sich grundsätzlich nicht der Verantwortlichkeit, indem er nämlich weiterhin um seinen Daseinssinn ringt. Er sagt zwar nicht Ja zu dem, was er soll, aber er sagt auch nicht Ja zu dem , was er nicht soll.“ Geistige Konflikte dieser Art sind für Frankl in Verantwortlichkeit zu lösen. Die psychogene Neurose Bei einer psychogenen Neurose sieht Frankl die Logotherapie als Ergänzung der Psychotherapie. Denn z. B. eine Angst- oder Zwangsneurose läßt sich für Frankl niemals allein in psychologischen Kategorien fassen. „… der Angst und dem Zwang entsprechen die beiden Grundmöglichkeiten des Menschseins ‚Angst‘ und ‚Schuld'“ . Und Freiheit und Verantwortung sind „ontologische Bedingungen“ für die Möglichkeit von Angst- und Zwangsneurosen. In der Logotherapie als „Ärztliche Seelsorge“ geht es Frankl um die Erstellung der Leidensfähigkeit eines Kranken bei unabwendbarem Leiden. Frankl geht es um seelische Heilung, das Seelenheil überläßt er den Seelsorgern. Für Frankl ist seelische Heilung von Sinnerfüllung und Wertverwirklichung abhängig. Doch es stellt sich die Frage, wie ein existentiell Frustrierter zur Wertverwirklichung geführt werden kann. Frankl geht von dem Wert der Verantwortlichkeit aus, auf den sich Helfer und Klient einigen können. Und so macht die „Logotherapie … dem Patienten nur sein Verantwortlichsein bewußt, um ihn dann sich selbst entscheiden zu lassen, wofür: für die Erfüllung welchen konkreten Sinnes und für die Verwirklichung welcher persönlichen Werte – und wovor: ob überhaupt vor etwas (vor dem Gewissen oder vor der Gesellschaft) und nicht vielmehr vor jemandem (vor Gott) – er sein eigenes Dasein als Verantwortlichsein auslegt und ausdeutet.“ Paradoxe Intention und Dereflexion, zwei Techniken der Logotherapie Der logotherapeutische Ansatz hat zwei neue Techniken in die Psychotherapie eingebracht, die bei sexual-, angst-, und zwangsneurotischen Reaktionsmustern indiziert sind, die paradoxe Intention und die Dereflexion. In diesen Techniken wird auf die Kraft der geistigen Dimension im Menschen vertraut. Paradoxe Intention In Frankls Neurosenmodell hat der angstneurotische Mensch Angst vor der Angst. Der Zwanghafte hat Angst vor dem Zwang und der Sexualneurotiker kämpft um die Lust. Der Klient bekommt um die Angst zu neutralisieren den Auftrag genau das anzustreben (intendieren) wovor er jeweils Angst hat, bzw. was er unbedingt vermeiden will. Häufig gelingt es auf diesem Wege den „Erwartungsangstmechanismus“ zu durchbrechen, denn es wird genau das bewußt intendiert, wovor der Klient Angst hat. Wenn ein Mensch das, wovor er Angst hat, bewußt anstrebt, dann unterliegt dieses ja seiner Kontrolle. Häufig führt die paradoxe Intention zu Entspannung, Entkrampfung und Entlastung. Frankl nennt die paradoxe Intention einen Appell an die „Trotzmacht des Geistes“. Die DereflexionBei der Dereflexion ist das Ziel die Aufmerksamkeit von einem Symptom abzulösen. Häufig beobachtet ein Angstneurotiker sich zu stark. Am Beispiel des Tausendfüßlers sei dies erklärt. Der Tausendfüßler begann erst zu stolpern, als er versuchte sich zu beobachten, wie er es wohl schaffte seine 1000 Füße gleichmäßig zu bewegen ohne durcheinander zu kommen. Das Ziel der paradoxen Intention ist es ein Symptom zu ironisieren, indem ich bewußt will wovor ich Angst habe. Ziel der Dereflexion ist es ein Symptom zu ignorieren.Zusammenfassung
Gegen den Reduktionismus unserer Zeit, in dem Frankl die Wurzel für das Sinnlosigkeitsgefühl sieht, entwirft er ein Menschenbild, welches vom Geistigen geprägt ist. Die Dimension des Geistigen beinhaltet die personalen Momente von Freiheit, Verantwortlichkeit und Sinnorientiertheit. Der geistige Bereich, der frei von Determination und Kausalität ist, eint Leib und Seele zu einem Menschen und eint den Menschen mit dem Sein überhaupt. Der Geist überwindet die Zerrissenheit des Menschen. In Beziehung und Einheit kann der Mensch Sinn erfahren. Frankl weiß den Menschen von unbewußter Geistigkeit getragen. Der geistige Bereich ist frei gegenüber jeglichen Bedingtheiten, und ist im letzten auch nicht zerstörbar. Eingeschränkt wird diese Freiheit durch das Verantwortlichsein zur Erfüllung und Verwirklichung von Sinn und Werten. Frankl sieht den Menschen durch den Willen zum Sinn bestimmt. Doch dieser Sinn kommt nicht aus dem Menschen selbst, sondern für Frankl existiert eine objektive Welt des Sinnes und der Werte, die sich im Gewissen offenbart. So ist der Mensch nicht Schöpfer von Sinn, sondern Sinnsucher und Sinnempfänger. Frankl geht es nicht um den Sinn des Ganzen. Um aber die Sinnfindung des einzelnen zu ermöglichen, muß er einen Übersinn annehmen. Dieser Übersinn ist an die Existenz Gottes gebunden. Frankls Ansatz enthält viele Setzungen oder Postulate. Vieles ist unbewiesen und muß geglaubt werden. Ich denke, daß ein überzeugter Atheist diesem Ansatz nicht folgen könnte. Die Frage ob das Leben einen Sinn hat oder nicht, ist nicht allgemein und für jeden und jede nachvollziehbar zu beantworten. Mir drängt sich der Gedanke auf, daß es ohne diese Setzungen, ohne unbewiesenes nicht geht, wenn ich mich auf die Sinnfrage einlassen will. Wie wir weiter oben gesehen haben verdrängen alle naturwissenschaftlichen Ansätze die Sinnfrage. Aber auch diese Verdrängung und Blindheit für die Sinnfrage liegt im jeweiligen Menschen- und Weltbild begründet. Mit Berger/Luckmann schließe ich, daß ich mir die Wirklichkeit konstruieren muß. Das bedeutet aber in der heutigen Zeit, daß bestimmte Setzungen oder Übernahme von Setzungen so sind, daß andere ihnen nicht folgen können. Frankl verficht, daß das Geistige die eigentliche Dimension des Menschen ist. Es hat manchmal den Eindruck, als würde er das psychophysische Leben nicht so recht ernst nehmen. Dies kann eine Gefahr für therapeutisches Arbeiten bedeuten: das psychophysische Sein mit all seinen Einflüssen wird unterschätzt. Es geschieht eine einseitige Akzentuierung der Sinnfrage und der Möglichkeiten die in Freiheit und Verantwortung stecken. Röhlein schreibt dazu: „Stehen die psychodynamischen … Konzeptionen in der Gefahr, den Psychologismus zu fördern, so steht die Logotherapie in der Gefahr, noologistisch zu argumentieren.“Durch die Personalisierung des Menschen wird Frankl der natürlich-geistigen Ganzheit des Menschen nicht gerecht. Wenn das geistige Leben seine Energien von den Trieben bekommt, kann es schwierig werden, wenn die psychischen Energien pathogen gebunden sind. Sie stehen dann dem Geistigen nicht mehr zur Verfügung. Böschemeyer spricht in diesem Zusammenhang von Sinnfindungsbarrieren. Es gilt also den Mensch in seiner Ganzheit zu sehen. Das muß bedeuten, daß der Mensch auch in seinem psychophysischen Sein ernst genommen wird, dieser Bereich darf auch in einer Logotherapie nicht unterschätzt werden. Auch z.B. die Lebensgeschichte eines Menschen hat eine Bedeutung, die nicht außer acht gelassen werden sollte. Logotherapie soll Psychotherapie nicht ersetzen, sondern ergänzen, aber Logotherapie ist für Frankl auch die Therapieform, die letzte und wahre causa in ihren Wirkungsbereich einbezieht. Wenn Frankl die Logotherapie als eigene Therapieform versteht, so muß sie, wie Peeck anmerkt „statt sich von anderen Richtungen integrieren zu lassen, ihrerseits Erkenntnisse und Arbeitsweisen der anderen Psychotherapieformen in ihre Arbeit integrieren.“ Nur so kann sie der Gefahr des Noologismus zu entgehen.

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur