Off-Label-Use

Ein Arzneimittel kann auch dann, wenn es zum Verkehr zugelassen ist, grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Es handelt sich sonst um eine zulassungsüberschreitende Anwendung, die auch als Off-Label-Use bezeichnet wird. Die Grenzen sind hier fliesend, typische Streitpunkte sind die Off-Label- Verordnungen von Medikamenten gegen das Restless legs Syndrom, die Behandlung des ADHS bei Erwachsen, Immunotherapien bei Myasthenie, genau genommen, die Anwendung der meisten Medikamente bei Kindern….. In den meisten Fällen in denen betroffene Patienten gegen die Krankenkassen gerichtlich ihre Interessen durchsetzen wollen, haben sie nach den Urteilen des Bundessozialgerichtes nur wenig Aussichten. Bei den o.g. Erkrankungen und psychischen Störungen handelt es sich dabei um prinzipiell zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse zu behandelnde Leiden. „Unter „Off-Label-Use“ versteht man die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels außerhalb der von den nationalen und europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen). Auf der Basis eines Erlasses des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) beauftragt der G-BA die eingerichteten Expertengruppen mit der Bewertung des Wissensstandes zum Off-Label-Use einzelner Wirkstoffe beziehungsweise Arzneimittel. Die Expertengruppen leiten dem G-BA die jeweils erarbeiteten Empfehlungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Off-Label-Use dieser Arzneimittel zur Umsetzung in der Arzneimittelrichtlinie zu.“ Für die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete gibt es häufig nur wenige oder keine Wirksamkeitsbelege. Eine behördliche Überprüfung des Nutzens und der Risiken der Anwendung des Arzneimittels in einer nicht zugelassenen Indikation hat meist nicht stattgefunden. Mit dem berechtigten Wunsch der Patienten nach einer wirksamen Behandlung ihrer Krankheit geht die potentielle Gefährdung durch hierfür ungeprüfte beziehungsweise nicht ausreichend geprüfte Arzneimittel einher. Nichtsdestotrotz wird für die Bereiche Onkologie, Neurologie sowie Kinderheilkunde die Anwendung von Arzneimitteln außerhalb ihrer Zulassung als unverzichtbarer Bestandteil der Therapien gesehen. Aus Gründen des Patientenschutzes sollen Arzneimittel jedoch nur innerhalb der Grenzen des Arzneimittelgesetzes, des Sozialrechts und der Rechtsprechung durch das Bundessozialgericht angewandt werden. Dass dies begründet ist, zeigen Beispiele schwerer und schwerster Nebenwirkungen bis hin zu Todesfällen, die nachweislich aufgrund von Off-Label-Use eingetreten sind.Anlage VI zum Abschnitt K der Arzneimittel-Richtlinie Der Gemeinsame Bundesausschuss Fragen und Antworten zum „Off-Label-Use“

Ist die Anwendung eines Medikamentes, für die beabsichtigte Therapie arzneimittelrechtlich nicht zugelassen ist, eine umfassendere Aufklärungspflicht des Arztes gegeben. Der Off-Label-Use entspricht einem Heilversuch, so dass die Aufklärung auf den Versuchscharakter sowie den Chancen- und Risikovergleich abstellen muss. AG Essen, Urt. v. 16. 4. 2009 – 21 C 486/08. Der Anspruch an die ärztliche Aufklärungspflicht ist damit bei einer off-label Verordnung größer als bei einer Verordnung mit entsprechender Zulassung.

Ein Patient mit Myasthenie hat jetzt beim Bundesverfassungsgericht einen Teilerfolg erzielt. 1 BvR 131/04 Das Gericht führt aus: In der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland haben Leben und körperliche Unversehrtheit hohen Rang. Aus dem Grundrecht folgt allgemein die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen. Behördliche und gerichtliche Verfahren müssen der im Grundrecht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit enthaltenen grundlegenden objektiven Wertentscheidung gerecht werden. Entscheidender Satz: Jedoch ist nach Aktenlage jedenfalls nicht auszuschließen, dass der Bundesausschuss die Anforderungen an die Evidenz der zu fordernden Wirksamkeitsnachweise in Anbetracht dessen, dass es sich hier um eine sehr seltene Krankheit handeln könnte, überspannt hat. Es bedarf an dieser Stelle keiner Klärung, ob aus dem Grundgesetz ein Gebot abzuleiten ist, die Anforderungen an die Mindestevidenz entsprechend den Besonderheiten des Einzelfalls zu ermäßigen, und ob, sofern dies der Fall ist, hier dagegen verstoßen worden ist. Jedenfalls wäre es verfassungsrechtlich geboten gewesen, dass die Sozialgerichte, wenn sie sich für eine Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache statt für eine Folgenabwägung entscheiden, der möglichen Fehlerquelle nachgehen. Hieraus könnte sich für eine Vielzahl weiterer Rechtsstreitigkeiten eine Konsequenz ergeben- soweit es sich um seltenere und schwerere Erkrankungen handelt. Das Erfordernis der Zulassung eines neuen Arzneimittels nach dem AMG sowie die Prüfung seiner Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit in Deutschland dienen unmittelbar dem Gesundheitsschutz im Sinne der Gewährleistung eines bestimmten Niveaus der medizinischen Versorgung. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts steht gesetzlich Krankenversicherten ein Leistungsanspruch auf neue medizinische Behandlungsmethoden gegen ihre Krankenkasse nur dann zu, Gemeinsame Bundesausschuss die jeweilige Methode „zugelassen“ hat. Daran sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gebunden. Grundsätzlich dürfen sie nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im einzelnen Leistungsfall nur dann prüfen, ob eine neue Behandlungsmethode medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist, wenn im Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem Bundesausschuss Fehler aufgetreten sind, die ein so genanntes Systemversagen begründen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels muss es vielmehr zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Nach der Rechtsprechung des BSG fehlt es daher an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit speziell einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (stRspr, vgl zB BSGE 72, 252, 256 f = SozR 3-2200 § 182 Nr 17; BSG SozR 3-2500 § 31 Nr 3 S 8 f mwN; BSGE 82, 233 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 5; SozR 3-2500 § 31 Nr 7 S 23 f; BSGE 89, 184, 185 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 29). Eine nationale gesetzliche Regelung, die die automatische Geltung einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgesprochenen Arzneimittelzulassung auch in Deutschland anordnet, existiert nicht. Nach § 37 Abs 1 Satz 2 AMG gilt die von einem anderen Staat für ein Arzneimittel erteilte Zulassung vielmehr nur dann als solche iS von § 21 AMG, soweit dies durch eine Rechtsverordnung des zuständigen Bundesministeriums bestimmt ist.

Die vom BSG festgesetzten Bedingungen für eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen für den Fall, dass ein Zulassungsverfahren nicht bereits beantragt ist, sind:

  1. es muss sich um eine lebensbedrohende oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handeln
  2. es darf kein anderes Medikament auf dem Markt sein, das für diese Krankheit zugelassen ist
  3. es müssen außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sein, die über die Qualität und Wirksamkeit des Medikamentes in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens darüber besteht, dass mit dem betreffenden Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel darf trotz seiner Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, wenn es weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat. Ein zugelassenes Arzneimittel kann grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (insoweit Aufgabe von BSG vom 5.7.1995 – 1 RK 6/95 = BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5). Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative gibt und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 18.5.2004, B 1 KR 21/02 R, B1 KR 21/02 R, B1 KR 37/00 R

Definitiv ausgeschlossen ist die Verordnung von Medikamenten für Indikationen, die nicht in zur Krankenbehandlung gehören zu Lasten der GKV. Das Antidepressivum Bupropion ist beispielsweise unter einem Namen als Antidepressivum und unter anderem Namen zur Raucherentwöhnung zugelassen. Manche Antidepressiva eignen sich vorzüglich zur Behandlung der Ejaculatio praecox. Hier kann die gleichzeitig eindeutig vorliegende Indikation einer Depression allerdings die Auswahl des Antidepressivums so beeinflussen, dass die bei anderer Indikation nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähigen Medikamente dennoch verordnungsfähig sind. Der Fall liegt hier nicht wesentlich anders, wie wenn das Antidepressivum Duloxetin, bei einer Depression und gleichzeitig vorliegender Stressinkontinenz verordnet wird.

 

Quellen / Literatur:

G. Chouinard, The search for new off-label indications for antidepressant, antianxiety, antipsychotic and anticonvulsant drugs, [abstract HTML / full text in PDF] Efficacy and Comparative Effectiveness of Off-Label Use of Atypical Antipsychotics, Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ), AHRQ Publication No. 07-EHC003-EF, January 2007 Mühlbauer, Bernd; Janhsen, Katrin; Pichler, Josef; Schoettler, Petra Off-label-Gebrauch von Arzneimitteln im Kindes- und Jugendalter: Eine Verordnungsanalyse für Deutschland HTML PDF

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur