Paradoxie

Die Paradoxie heißt „richtig=falsch.“ Zur Bedingung der tragischen Wirksamkeit von Paradoxien gehört, dass eine solche Gleichung nicht als „Un-Sinn“ abgetan werden kann. In menschlichen Tragödien geht es nicht logisch zu. Einfache Paradoxien von der Art „Alle Kreter lügen – sagt ein Kreter“ kommen ohne das tragische Moment aus. Aus der Formulierung folgt nur: wenn der Kreter Recht hat (dass alle Kreter lügen), dann lügt er. Wenn er aber lügt, sagt er gerade die Wahrheit. Hier entsteht die Paradoxie nicht durch das Tragische, sondern durch die Selbstrückbezüglichkeit der Aussage. Paradoxien überschreiten die Logik und weisen auf andere Dimensionen hin. Sie zu „entparadoxieren“ ist vermutlich das, was im allgemeinen als „Lösung“ eines Konflikts bezeichnet wird. Pragmatische Paradoxien entstehen, wenn dieselben Ereignisse innerhalb verschiedener Kontexte unvereinbare Bedeutungen erhalten, wenn diese Bedeutungen zugleich als relevant erkannt, für Handeln verpflichtend und als verbindlich angesehen werden müssen; und wenn aus den unterschiedlichen Bewertungen und Bedeutungen gegenteilige Handlungsmaximen folgen. Ödipus wird geweissagt, dass er seinen Vater umbringen und seine Mutter heiraten wird – im Kontext dieser Weissagung ist seine Reaktion richtig: er verlässt seine Pflegeeltern, um sein Ziel zu erreichen, die Vorhersage nicht eintreten zu lassen. Im anderen Kontext des griechischen Mythos ist seine Reaktion gerade falsch: sie führt zur Erfüllung der Vorhersage. Ins Zentrum der Tragödie ist eine Paradoxie eingerückt. Wenn Ödipus „richtig“ handelt, handelt er „falsch“ – und umgekehrt. Nicht immer zu entdecken und aufzuklären sind Irrtümer aufgrund unterschiedlicher Definitionen. So scheinen Peru und andere südamerikanische Länder eine überraschend geringe Säuglingssterblichkeit zu haben. Doch unterscheiden sich die Definitionen von „Säuglingssterblichkeit“ von Land zu Land: „Lebendgeboren“ sind Kinder in Deutschland mit dem ersten Herzschlag oder dem Einsetzen der Atmung, in Peru jedoch erst mit dem Zeitpunkt der Taufe – alle Kinder, die nach dem ersten Herzschlag, aber vor der Taufe sterben, tauchen daher in Peru nicht in der Säuglingssterblichkeitsstatistik auf, sondern gelten als Totgeburten. Eine weitere Klasse von Irrtümern sind logische Trugschlüsse. Katholische Bischöfe haben unter allen Berufen eine der höchsten Lebenserwartungen – leben sie also gesünder als Angehörige anderer Berufe? Nicht unbedingt, denn es handelt sich um eine extrem verzerrte Stichprobe: Da man erst im fortgeschrittenen Alter Bischof wird, sind alle Personen, die jung sterben, automatisch aus der Statistik ausgeschlossen.

 

Quellen / Literatur:

siehe http://www.gwup.org/skeptiker/archiv/2000/3/muenchen.htm

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur