Psychische Störung

der Begriff psychische Störung ist ein Kompromiss der Psychiater bei der Einigung auf eine allgmein international gültige Definition von eben Störungen, die das Gemüt, die Seele, den Intellekt, die Persönlichkeit und den Geist betreffen. Der Begriff soll den alten Krankheitsbegriff ablösen und dadurch dass über nachprüfbaren Symptome definiert wird für verschiedene Therapie- oder Diagnoseschulen gleichgut verwendbar sein. Die gültigen Klassifikationsinventare schlagen vor, nicht mehr von Krankheiten zu reden. Das ICD-10 begründet diese Wahl folgendermaßen: ¹Der Begriff ,Störung` (disorder) wird in der gesamten (sc. ICD-10-)Klassifikation verwendet, um den problematischen Gebrauch von Ausdrücken wie ,Krankheit` oder ,Erkrankung` weitgehend zu vermeiden. Der Störungsbegriff hat zwei Stärken: Er ist nosologisch neutral, und er fordert, dass die beschriebenen Sachverhalte deskriptiv, als Phänomene, erkennbar sind. Er impliziert eine phänomenologische Grundhaltung, die darin besteht, von den theoretischen Zugangsweisen, den konzeptuellen Vorurteilen zu abstrahieren, sie auszuklammern, um zum Phänomen vorzustoßen, das dann je unterschiedlich interpretiert werden kann (und wahrscheinlich muss). Störungen müssen klinisch erkennbar sein und als Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten imponieren. Sie werden definiert, und zwar durch Kriterien, die operationalisiert sind. Operationalisierung heißt, beobachtbare Kriterien zu finden, die im Sinne eines bestimmten Algorithmus zu einer Definition zusammentreten. Diese Definitionen sind notwendig reduktiv und sie sind notwendig konventionell. Der kriteriengeleitete klinische Blick wählt aus der klinischen Vielfalt aus, er blendet andere mögliche Zusammenhänge aus. Die diagnostischen Konventionen erlauben es, diagnostische Etiketten klar und im klinischen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch übereinstimmend zu benutzen. Was als phänomenologische Reduktion auftritt, ist also keine Rückführung auf eine ärztlich-klinische Erfahrung, sondern auf ein Set von Kriterien. Deren Auswahl ist nicht frei von Interpretation. Wissenschaftstheoretisch notwendig ist es deshalb, die gewählten Kriterien auf zugrunde liegende Biases, Theoriefilter, zu befragen. Insgesamt hat der Begriff psychiatrische Diagnosen vergleichbarer und damit überprüfbarer und besser geeignet für die Forschung gemacht.

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur