Übertragung

Frühkindliche Beziehungen und Einstellungen werden (z.B. zu Mutter, Vater) auf den Therapeuten projiziert/übertragen. Innerhalb der Therapie dient der Therapeut als Projektionsfläche für das Seelenleben des Patienten – etwa so wie die Leinwand für den Diaprojektor. Der Patient projiziert auf den Therapeuten jene Gefühle, Wünsche, Ängste und Gedanken, die eigentlich anderen Personen (beispielsweise der Mutter oder dem Vater) gelten. Dies wird »Übertragung« genannt. Dies löst auch bei Therapeuten Gefühle aus, die er als Gegenübertragungsgefühle erkennt und die Erkenntnis diagnostisch wie therapeutisch verwerten kann. Der Arzt muss deshalb seine Gegenübertragungen wahrnehmen und über ständige Selbstreflexion prüfen können. Ihre Deutung und Nutzung in der Psychotherapie ist sicherlich der größte Beitrag der Psychoanalyse für die moderne Psychotherapie. Psychoanalytische Beziehungsdiagnostik nutzt überwiegend das Wechselspiel von Übertragung und Gegenübertragung in der Therapie. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Analytiker seine eigenen realen Beiträge bewusst erkennt (ein hoher Anspruch). Als dysfunktionale habituelle Beziehungsmuster werden spezifische, für den Patienten leidvolle Konstellation bezeichnet, die sich aus seinem habituellen Beziehungsverhalten und den typischen Reaktionsweisen seiner Sozialpartner ergibt. Der Therapeut legt diese Muster offen, da er die Hintergründe versteht (sie damit auch nicht als persönlichen Angriff oder persönliche Liebesbezeugung, sonder als Wiederholung alter Erfahrungen erkennt, kann er diese Muster durch Deutung auch dem Patienten bewusst machen. Die in der Beziehung zum Therapeuten gemachten korrektiven emotionalen Erfahrungen ermöglichen neue, weniger ambivalente innere Repräsentanzen und neue Modelle für Beziehungen und Bindungen. Diese neuen Repräsentanzen überlagern frühere durch traumatische Erfahrungen geprägte Repräsentanzen. Während der Analytiker in therapeutischen Beziehungen die Übertragungsbeziehung deutet und sich dabei entsprechend der Abstinenzregel nur als Spiegelfläche für den Patieten anbietet, arbeiten manche andere Therapieverfahren unter aktiver Nutzung der Übertragungsbeziehung die vom Therapeuten gesucht bzw. provoziert wird. Ein Beispiel ist die „Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy” (CBASP) in der Behandlung chronischer Depressionen. Therapeuten werden dabei ermutigt, sich auf ihre Patienten in einer kontrollierten Weise persönlich einzulassen, um damit deren Verhalten zu modifizieren und zu beeinflussen. Übertragungsthemen werden konzeptualisiert, indem die Technik einer Hypothesengenerierung verfolgt wird und die Übertragungsprozesse während des Therapieprozesses proaktiv hinterfragt werden.

Quellen / Literatur:

Ephi Betan, Amy Kegley Heim, Carolyn Zittel Conklin, and Drew Westen Countertransference Phenomena and Personality Pathology in Clinical Practice: An Empirical Investigation, Am J Psychiatry 2005 162: 890-898. [Abstract] [Full Text

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur