Alkoholtoxische Wesensveränderung

Sie läßt einzelne vorgegebene Persönlichkeitseigenheiten stärker in Erscheinung treten; sie impliziert aber auch eine Veränderung der Reaktionsmuster des Betroffenen auf alltägliche Belastungen und chronische Konflikte. Stimmungsschwankungen, Antriebsstörungen, vermindertes Durchhaltevermögen, mangeihafte Konzentration, Beeinträchtigung zielgerichteten Handelns, Interessenverarmung und Einbußen an verläßlicher Kontinuität eigenen Handelns lassen den Alkoholkranken wesensmäßig unharmonisch-entdifferenziert erscheinen. Die Wesensveränderung mischt sich mit und wird damit Teil der Depravation des Suchtkranken. Sie kann sich in Kritik- und Urteilsschwäche, Unehrlichkeit, Verwahrlosung, Dissozialität und Kriminalität manifestieren und ist immer Ausdruck der im Zentrum getroffenen und veränderten (,,entkernten“) Persönlichkeit, der das Vermögen verloren gegangen ist den eigenen Seinsentwurf zu leben. Zur Wesensveränderung gehören auch die Dissimulations-, Bagatellisierungs- und Verleugnungstendenzen bezüglich der eigenen Trinkgewohnheiten, welche man mit mangelnder Krankheitseinsicht nur unvollkommen zu umschreiben versucht. Je deutlicher die Zeichen eines organischen Psychosyndroms, um so uniformer zeigt sich die alkoholtoxische Wesensänderung und verwischen sich die individuellen Besonderheiten. So wichtig im Einzelfall die aktuelle psychopathologische Struktur der Wesensänderung auch sein mag (zumal sie therapeutisch und prognostisch von hoher Wertigkeit ist), so liegt ihre folgenreichste Auswirkung im Bereich der zwischenmenschlichen und sozialen Bezüge und Wechselwirkungen. Deshalb ist die alkoholtoxische Wesensveränderung die schwerwiegendste Alkoholismus-Folge überhaupt,

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur