Adie-Syndrom

Als Adie-Syndrom bezeichnet man einen Symptomkomplex aus gestörter Augenmotorik (sog. Adie-Pupille; meist einseitig, im Verlauf auch beidseitig möglich) und fehlenden oder stark abgeschwächten Reflexen der Beine.

Die jährliche Inzidenz beträgt etwa 4,7 pro 100 000. Das Krankheitsbild kann in jedem Alter auftreten, meistens beginnt es in der Adoleszenz bis zum mittleren Lebensalter. Vorkommen zumeist bei Frauen (2,5:1).

Adie-Pupille

Bild: Pupillotonie am rechten Auge (links im Bild) im Rahmen eines Adie-Syndroms.

Kennzeichen des Adie-Syndroms

  • Einsseitiger Beginn.
  • Die Pupille ist mittelweit bis weit, oval und oft unregelmäßig.
  • In der Untersuchung erfolgt erst auf langes Belichten eine langsame, tonische Verengung der Pupille. Auch ein vollständiges Fehlen des Lichtreflexes ist möglich.
  • Es besteht eine segmentale Lähmung der spontanen Irisbewegungen.
  • Beeinträchtigte Akkommodation (verspätete Reaktion auf Nahesehen, verspätete Pupillenerweiterung beim Blick in die Ferne nach dem Nahesehen).
  • Das (weitestgehende) Fehlen der Muskeleigenreflexe, insbesondere an den Beinen.

Subjektive Symptome

Patienten sind bei akutem Auftreten lichtempfindlich (Blendung) und beim Lesen durch die Akkomodationsstörung beeinträchtigt, sie bemerken dann im Spiegel die Pupillendifferenz. Es kommt zu einem Verlust der Tiefenschärfe durch mangelhafte Pupillenverengung (bedeutet: der Bereich, der scharf gesehen werden kann verkleinert sich). Andererseits kann sich die Pupillotonie auch unbemerkt einstellen und wird dann z.B. erst zufällig bei einer ärztlichen Untersuchung festgestellt.

Oft fehlen gleichzeitig die Beineigenreflexe, der Achillessehnenreflex (ASR) fällt früher aus als der Patellarsehnenreflex (PSR), was jedoch vom Patient in der Regel nicht bemerkt wird. Die Bewegungsfähigkeit ist erhalten.

Ursachen des Adie-Syndroms

Aus elektrophysiologischen und anatomischen Untersuchungen vermutet man, dass den Symptomen eine Schädigung der motorischen 1a-Fasern zugrunde liegt. Die genaue Ursache ist nicht bekannt. Man vermutet einen entzündlichen mesenzephalen Prozesses oder eine Funktionsstörung des Ganglion ciliare als Ursache der Pupillotonie. Auch eine Herpes-simplex-Virus-Infektion wird als Erklärung vermutet. 

Diagnostik

Neben der typischen klinischen Symptomatik ist auch eine pharmakodynamische Testung möglich: Auf lokale Applikation von 0,1%igen Pilocarpin-Tropfen verengt sich die betroffene Pupille innerhalb von 30 Minuten deutlich, die kontralaterale reagiert kaum. Bei der akuten Pupillotonie mit Fehlen der Licht- und Naheinstellungsreaktion ist der Pilocarpin-Test deutlich und sehr hilfreich.

Differentialdiagnose der Pupillotonie

Eine Pupillotonie kann verschiedenste Ursachen haben. In vielen Fällen bleibt die Ursache letztlich unklar.

Mögliche Ursachen können sein:

  • Schädigung der kurzen Ciliarnerven, z.B. durch Trauma oder Operation. 
  • Auftreten in zeitlichem Zusammenhang mit systemischen entzündlichen/infektiösen Erkrankungen: VZV-Infektion, Arteriitis cranialis, Lues, Borreliose. 
  • Paraneoplastisch bei Bronchial-Carcinom, Hodgkin-Lymphom.
  • Auftreten im Rahmen von Systemerkrankungen, die das cholinerge System betreffen: Shy-Drager-Syndrom, Riley-Day-Syndrom, Ross-Syndrom, Adie-Syndrom, sowie bei Fisher-Syndrom.

Sinnvoll ist eine Abklärung durch einen Neurologen (Differentialdiagnose, s.o.) und Ophthalmologen mit pharmakodynamischer Prüfung. Wichtig ist eine Aufklärung des Patienten (ggf. Notfallausweis) und der Angehörigen, damit die Pupillendifferenz bei späteren ärztlichen Untersuchungen nicht fehlinterpretiert wird (perioperativ, Schädelhirntrauma…). 

Therapie

Eine spezifische Therapie des Adie-Syndroms existiert (bislang) nicht. In den meisten Fällen handelt es sich um eine harmlose Störung ohne signifikanten Krankheitswert. Wichtig ist vor allem die Abklärung möglicher anderer, potentiell gefährlicher Ursachen des Symptome (siehe oben).

Quellen / Literatur:

Adie WJ. Pseudo Argyll-Robertson pupils with absent tendon reflexes. BMJ 1931; I: 928–30. Holmes GM. Partial iridoplegia associated with symptoms of other, diseases in the nervous system. Trans Ophthalmol Soc UK 1931; 51: 209–28. Paolo Martinelli, Holmes-Adie syndrome,  Lancet 2000; 356: 1760–61